Sintflut (German Edition)
darauf angewiesen, dass mich jemand aus meiner Lethargie reißt. Außerdem ist es keine. Es ist einfach nur der Versuch, wieder ins Lot zu kommen und Frieden zu finden, auch wenn es nur mein Friede ist und er – Auenland hin oder her – oft nicht viel weiter reicht als bis zu unserer Gartentür.
3
Gestern vor zwei Wochen kam der Brief an. Ich hatte mir vorgenommen, Paula einfach ihrem Schicksal zu überlassen, aber es ging nicht. Und warum? Weil es mich halt doch gepackt hat. Ich will helfen, erstens. Zweitens mache ich mir Sorgen, auch wenn Paula bestimmt übertreibt. Drittens bin ich neugierig. Einmal Polizei, immer Polizei.
Aber da gibt es auch noch diese Anekdote von Balzac. Sie handelt von einem Kater, der den ganzen Tag in einem Sessel liegt. Manchmal träumt er davon, so wie früher ein kampferprobter Straßenkater zu sein. Eines Nachts versucht er tatsächlich sein Glück, erleidet aber eine schmachvolle Niederlage. Dankbar kehrt er in seinen Sessel zurück. Er zieht es vor, sich den Fressnapf hinstellen zu lassen, so wie ich, seit ich Max geheiratet habe.
Trotzdem werde ich fahren. Aus Schaden wird man vielleicht doch nicht klug und Max weiß es auch noch nicht. Hinzu kommt ein drittes Problem: Ich kenne die Hamangia-Kultur zu wenig, um mich als Archäologin auszugeben. Wie denkt Paula sich das nur?
Ich muss improvisieren. Wie in der Werbeagentur, in der ich mal verdeckt ermittelt habe. Außen Agentur, innen Kinderpornos. In dem Laden gab es für die Steuer ein paar saubere Kunden aus der Pharmabranche und ich ließ mich als Texterin einstellen. So lernte ich in kurzer Zeit, ein Wort wie Gammaglobulinprophylaxe flüssig herauszubringen. Ich schrieb für Leute, die noch nie etwas von einer Gammaglobulinprophylaxe gehört hatten, aber grob verstehen sollten, was die Vorteile davon sind. Komplexe Zusammenhänge in flotter Schreibe verständlich darstellen wurde das genannt. Ich machte einen kompetenten Eindruck, obwohl ich nicht vom Fach war.
Aber auf so einem Kongress? Die Anfänge des Neolithikums liegen im epipaläolithischen Kebarien, datiert in die Zeitspanne vom Angles-Interstadial bis in die Dyras-eins-Zeit, ihre Spätphase fällt in das Bölling-Interstadial . Das ist ein Originalzitat aus einem Fachbuch, das Paula mal bei uns vergessen hat. In den zwei Wochen, die mir bis zur Abreise bleiben, kann ich diesen Archäologensprech kaum lernen. Hinter jedem Wort stecken Jahrzehnte intensiver Forschungsarbeit, mit einer flotten Sprache komme ich da nicht weiter. Das wäre so, als würde ich Salzstangen auf den Tisch stellen, wenn Max seine besten Kunden bei uns zum Essen einlädt.
Andererseits ist Hamangia ein Spezialgebiet, auf das sich nicht viele einlassen. Die üblichen Altertumsthemen sind Ägypten und Babylon und Paula meint immer, sie kann den Kollegen alles erzählen, solange es sich nur richtig anhört. Das ist meine Chance, ich muss nur etwas mehr über Hamangia und die Figur auf dem Foto wissen. Wer außer Paula könnte mir weiterhelfen? Es kommt nur Martin Fleischmann in Frage. Paula hat öfter von ihm erzählt. Er ist ihr Kollege am Institut, forscht zur Bandkeramik und wohnt wie wir alle in Erlangen. Vor etwa zwei Jahren ging seine Ehe in die Brüche, deshalb ist er an diesem Komm-wir-machen-einen-Ausflug-zum-Baggersee-Sonntag wahrscheinlich zu Hause und arbeitet.
»Mit Frauen hat Martin kein Glück«, sagte Paula einmal zu mir. »Dabei ist er eigentlich ganz nett. Sieht nicht gerade zum Anbeißen aus, aber es geht noch. Und eine wandelnde Hormonbombe, wenn du mich fragst. Aber statt sein Glück zu versuchen, sitzt er an seinem Computer und vergleicht Fotos von Venusfiguren aus aller Welt. Es wird die größte Studie zu diesem Thema, die je gemacht wurde. Falls er mal damit fertig wird. Wenn er sich nicht endlich beeilt, ist er zwar habilitiert, aber zu alt, um noch Professor zu werden, da kann er noch so toll geforscht haben. Na ja, das ist sein Problem. Jedenfalls sind viele seiner Figuren aus Rumänien. Deshalb sprechen wir miteinander.«
Ich suche seine Nummer heraus, nach dem dritten Klingeln meldet er sich. »Fleischmann«, sagt er mit der leicht abwesenden Stimme von jemand, der nebenbei auf einen Bildschirm starrt, Sachen anklickt und eine Maus hin und herbewegt.
»Guten Tag, hier spricht Marlene Adler. Ich bin Paulas Schwester und hoffe, Sie können mir helfen. Paula … sie ist seit einiger Zeit nicht erreichbar. Zuerst habe ich mir ja keine Sorgen gemacht, aber
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