Sinuhe der Ägypter
Geschrei und Gelächter und Aufruhr, wie ich dies nie für möglich gehalten hätte.
Bei der ersten Gelegenheit näherte ich mich Kaptah und flüsterte so leise, daß niemand außer ihm es hören konnte: »Folge mir, Kaptah, damit wir uns verstecken und fliehen; denn das kann kein gutes Ende nehmen.« Aber Kaptah hatte Wein getrunken, und sein Bauch war aufgebläht von guten Speisen, weshalb er antwortete: »Deine Rede ist wie Fliegengesumm in meinen Ohren; etwas Dümmeres habe ich noch nie gehört. Du meinst also, ich sollte in dem Augenblick fliehen, da dieses gemütliche Volk mich zum König ausgerufen hat und alle sich vor mir verneigen? Zweifelsohne habe ich das dem Skarabäus zu verdanken und allen meinen guten Eigenschaften, die erst dieses Volk nach ihrem wahren Werte zu schätzen weiß. Mich dünkt übrigens, es schicke sich nicht länger, daß du mich Kaptah nennst und wie einen Sklaven anredest; du solltest dich wie die anderen vor mir verbeugen.« Ich aber beschwor ihn: »Kaptah, Kaptah, du wirst sehen, daß dich dieser Scherz teuer zu stehen kommt. Fliehe, solange du noch fliehen kannst; dann will ich dir auch deine Frechheit verzeihen.«
Kaptah aber wischte sich das triefende Fett vom Mund und drohte mir mit einem abgenagten Eselsknochen: »Führt diesen schmutzigen Ägypter hinaus, damit ich mich nicht erzürne und meinen Stock auf seinem Rücken tanzen lasse.« Da warf sich der als Löwe verkleidete Mann brüllend auf mich, biß mich ins Bein, warf mich zu Boden und zerkratzte mir das Gesicht. Es wäre mir wohl schlecht ergangen, wenn man nicht im selben Augenblick unter Hornstößen verkündet hätte, daß für den König die Zeit gekommen sei, sich hinunterzubegeben und Gerechtigkeit unter dem Volk zu üben. Darum vergaß man mich.
Kaptah sah ein wenig verwirrt aus, als man ihn in das Haus der Gerechtigkeit führen wollte, und erklärte, er überlasse die Rechtsprechung gerne den Richtern des Landes, die als redliche Männer sein Vertrauen besäßen. Aber dem widersetzte sich das Volk heftig und rief: »Wir wollen die Weisheit unseres Königs vernehmen, um uns davon zu überzeugen, daß er der richtige König ist und die Gesetze kennt.« So wurde Kaptah auf den Thron der Gerechtigkeit gehoben, und die Wahrzeichen der Gerechtigkeit, die Geißel und die Fesseln, wurden ihm zu Füßen gelegt, und das Volk wurde aufgefordert, vor ihn hinzutreten und ihm seine Streitigkeiten zu unterbreiten. Der erste, der sich Kaptah zu Füßen warf, war ein Mann, der sich die Kleider zerrissen und Asche ins Haar gestreut hatte. Er drückte das Gesicht in den Staub und rief unter Tränen:
»Keiner ist so weise wie unser König, der Herrscher über die vier Erdteile. Deshalb bringe ich ihm meine Klage vor und flehe ihn an um Gerechtigkeit. Ich habe mir vor vier Jahren eine Frau genommen, und wir haben noch kein Kind. Doch jetzt ist sie schwanger. Gestern erfuhr ich, daß meine Frau mich mit einem Krieger betrügt, ich ertappte sie sogar auf frischer Tat, konnte aber nichts ausrichten, weil der Krieger groß und stark ist. Jetzt ist meine Leber von Kummer und Zweifel erfüllt; denn wie kann ich wissen, ob das erwartete Kind von mir oder von jenem Krieger ist? Deshalb flehe ich den König um sein Urteil an, damit ich mich demgemäß verhalte.«
Kaptah schwieg eine Weile und blickte zögernd um sich; aber schließlich erklärte er entschlossen: »Holt Stöcke und verprügelt den Mann, damit er sich dieses Tages entsinne!« Die Rechtsdiener packten den Mann und verprügelten ihn, daß er laut jammernd das Volk anrief: »Heißt das Gerechtigkeit?« Auch das Volk begann zu murren und forderte eine Erklärung. Da sprach Kaptah:
»Dieser Mann hat schon deshalb Prügel verdient, weil er mich mit einer solchen Nichtigkeit belästigt. Noch mehr aber hat er die Hiebe um seiner Dummheit willen verdient. Hat man je gehört, daß ein Mann, der seinen Acker unbesät läßt, sich beklagt, wenn ein anderer in seiner Gutmütigkeit es für ihn besorgt und ihm die Ernte überläßt? Auch liegt die Schuld nicht an der Frau, wenn sie sich einen anderen sucht, sondern an dem Mann, der sie nicht zu befriedigen vermag, und auch aus diesem Grunde verdient der Mann seine Prügel.«
Nach diesem Urteilsspruch brach die Menge in Jubel und Gelächter aus und pries des Königs Weisheit. Nun aber trat ein ernster, alter Mann vor den König und sprach: »Vor dieser Steinsäule, auf der das Gesetz geschrieben steht, und vor dem König fordere ich
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