Sinuhe der Ägypter
Hauses nicht mehr zu öffnen. Das junge Weib rast wie ein Raubtier, und ich weiß keinen anderen Rat, als daß du, Sinuhe, hingehst und ihr unter Aufwand deiner ganzen Geschicklichkeit den Schädel öffnest, um den bösen Geist herauszulassen. Von einem solchen muß sie besessen sein; wie könnte sie sich sonst erdreisten, ihren König anzugreifen und mit dem Pantoffel auf die Nase zu schlagen, daß das Blut herausrinnt wie aus einem gestochenen Ochsen?«
Burnaburiasch stieß mich in die Seite und sagte: »Geh, Sinuhe, und schau nach, was es gibt; denn du kennst das Haus bereits. Ich selbst darf es heute nicht betreten. Deshalb sollst du mir Bericht erstatten. Ich glaube zwar zu wissen, von wem die Rede ist: man hat gestern ein Mädchen von den Meeresinseln gebracht, von dem ich mir viel Belustigung verspreche; doch sollte es zuerst mit Mohnblumensaft betäubt werden.«
Er quälte mich so lange, bis ich schließlich das Frauenhaus betrat, wo große Aufregung herrschte. Die Kastraten des Königs hinderten mich nicht; denn sie wußten bereits, daß ich ein Arzt war. Alte Weiber, die sich eigens für diesen Tag prächtig gekleidet und geschmückt und die runzligen Gesichter bemalt hatten, umringten mich und fragten im Chor: »Wohin ist er verschwunden, unser Liebling, unser Herzblatt, unser kleiner Freund, den wir seit dem Morgengrauen erwartet haben?« Ein riesiges Negerweib, dessen Brüste gleich schwarzen Rundpfannen über ihren Bauch hinabhingen, hatte sich bereits entblößt, um Kaptah als erste zu empfangen, und rief jammernd: »Gib mir meinen Geliebten, damit ich ihn an die Brust drücke! Gib mir meinen Elefanten, damit er seinen Rüssel um mich schlinge!« Die Eunuchen aber meinten besorgt: »Kümmere dich nicht um diese Weiber, die nur die Aufgaben haben, den falschen König zu ergötzen, und in Erwartung seiner Ankunft ihre Leber mit Wein gesättigt haben. Wir bedürfen wirklich eines Arztes, denn das Mädchen, das gestern hergebracht wurde, ist verrückt geworden; es ist stärker als wir und wehrt sich mit Händen und Füßen, und wir wissen nicht, wie das enden soll, denn irgendwo hat sich das Mädchen ein Messer verschafft und rast jetzt wie ein Raubtier.«
Sie führten mich in den Hof des Frauenhauses, der im Sonnenschein glühte und die Farben der glasierten Ziegel widerspiegelte; denn in seiner Mitte war ein rundes Becken, in dem Tiere standen, aus deren Rachen Wasser in das Becken sprang. Auf eines dieser Tiere war das rasende Weib geklettert. Die Eunuchen hatten ihr, beim Versuch sie einzufangen, die Kleider zerrissen, und sie war tropfnaß nach dem Schwimmen im Bassin und von den Wasserstrahlen, die um sie herumspritzten. Die eine Hand klammerte sich am Rachen eines wasserspeienden Tümmlers fest, die andere aber hielt ein blitzendes Messer gezückt. Das Wasser rauschte, und die Kastraten lärmten und schrien dermaßen, daß ich kein Wort von dem, was das Mädchen sagte, verstehen konnte. Sie war gewiß ein schönes Mädchen, obgleich ihre Kleider zerrissen und ihre Haare triefend naß waren, und ich ward verwirrt und sprach zornig zu den Eunuchen: »Macht, daß ihr fortkommt, damit ich mit ihr reden und sie beruhigen kann. Und hemmt das Rauschen des Wassers, damit ich ihre Worte unterscheiden kann. Denn wie ihr hört, ruft sie ja in einem fort.«
Verängstigt meinten sie: »Kommt ihr nur nicht zu nahe; das Messer ist sehr scharf, wie wir zu unserem Leidwesen erfahren haben.« Aber sie brachten das Rauschen zum Schweigen, indem sie die Strahlen aus den Rachen der Seeungeheuer drosselten, so daß sie sanken und die ganze Gestalt des Mädchens sichtbar wurde. Jetzt hörte ich, daß sie nicht rief, sondern sang; aber ich verstand kein Wort des Gesanges, weil sie sich einer mir unbekannten Sprache bediente. Sie sang mit zurückgeworfenem Haupt, ihre Augen funkelten grün wie diejenigen einer Katze, und ihre Wangen glühten vor Erregung. Deshalb rief ich zornig: »Hör auf zu miauen, Katze! Wirf das Messer fort und komm hierher, damit wir miteinander reden und ich dich heilen kann; denn du bist wahrhaftig verrückt.«
Der Gesang brach ab, und sie antwortete mir in einem noch schlechteren Babylonisch, als ich es sprach: »Spring in den Teich, du Pavian, und schwimm zu mir, damit ich dir mit dem Messer das Blut aus der Leber zapfen kann. Ich bin sehr erzürnt.« Ich rief: »Ich tue dir nichts Böses.« Sie aber rief zurück: »Dies hat schon mancher Mann behauptet, der mir Böses antun wollte. Selbst
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