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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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Menschengestalt, aber das Haupt eines Stieres, was ich jedoch nach meinen Besuchen in vielen Ländern und Großstädten für ein Märchen halte. Eines weiß ich nur: daß das Los unter den ihm Geweihten jährlich zwölf Jünglinge und Mädchen dazu auserwählt, der Reihe nach bei jedem Vollmond sein Haus zu betreten, und daß es für keinen Geweihten eine größere Freude gibt als das Betreten des Gotteshauses. Das Los fiel auch auf mich. Doch bevor ich an die Reihe kam, erlitt unser Fahrzeug Schiffbruch, die Kaufleute raubten und verkauften mich dann auf dem Sklavenmarkt zu Babylon. Während meiner ganzen Jugend habe ich von den wunderbaren Gemächern und dem Ruhelager des Gottes wie auch vom ewigen Leben geträumt. Zwar darf der durch das Los Erwählte, wenn er will, nach einem Monat aus dem Haus des Gottes wiederkehren, aber bis jetzt ist noch kein einziger zurückgekommen. Deshalb glaube ich, daß das Leben auf Erden demjenigen, der den Gott geschaut, nichts mehr zu bieten hat.«
    Während sie so sprach, war mir, als hätte ein Schatten die Sonne verdeckt; alles wurde aschgrau in meinem Innern, und ich fühlte, wie ich bebte, weil ich erkannte, daß Minea niemals die meine werden konnte. Ihr Märchen glich genau denjenigen, welche die Priester aller Länder zu erzählen pflegen; doch sie glaubte daran, und dieser Glaube trennte sie für immer von mir. Ich wollte sie nicht mehr mit meinen Worten aufregen oder betrüben; deshalb wärmte ich ihre Hände in den meinigen und sagte schließlich: »Ich verstehe, daß du zu deinem Gott zurückzukehren wünschest. Ich werde dich über das Meer nach Kreta bringen; denn jetzt weiß ich, daß du von der Insel Kreta stammst. Ich ahnte es bereits aus deiner Erzählung von den Stieren; deine Schilderung des Gottes in dem dunklen Haus jedoch gibt mir Gewißheit. In Simyra erzählten mir Kaufleute und Seefahrer von ihm, und bis dahin habe ich an ihren Worten gezweifelt. Allerdings erzählten sie auch, daß die Priester einem jeden, der aus dem Haus des Gottes zurückzukehren versuche, den Garaus machen, damit niemand etwas Bestimmtes über den Gott des Meeres erfahre. Aber das ist natürlich eitles Geschwätz der Seeleute und des niederen Volkes, und du als Geweihte weißt es besser.«
    »Ich muß in die Heimat zurückkehren, das weißt du«, sagte sie in bittendem Ton, »ich würde sonst nirgends auf Erden Ruhe finden; denn von Kindheit an bin ich in den Stallungen des Gottes aufgewachsen. Dennoch freue ich mich über jeden Tag, den ich mit dir, Sinuhe, verbringen, ja über jede Minute, die ich dich noch sehen darf. Nicht nur, weil du mich vor dem Bösen errettet hast, sondern vielmehr, weil noch nie ein Mensch so wie du zu mir gewesen ist. Ich sehne mich auch nicht mehr, wie zuvor, nach dem Haus des Gottes, sondern werde mich kummervollen Herzens dorthin begeben. Wenn es mir vergönnt sein sollte, werde ich nach der bestimmten Zeitspanne zu dir zurückkehren; doch glaube ich dies selber nicht, weil noch keiner zurückgekommen ist. Aber unsere Frist ist kurz, und wie du sagtest, weiß niemand etwas über den morgigen Tag. Deshalb, Sinuhe, wollen wir uns über jeden Tag freuen, der uns noch bleibt. Ergötzen wir uns am Flug der Wildenten über unserem Haupt, am Strom und am Röhricht, am Essen und am Trinken, ohne an das Kommende zu denken! So ist es am besten.«
    Ein anderer Mann hätte sie mit Gewalt genommen, in seine Heimat gebracht und bis an sein Lebensende mit ihr gelebt. Ich aber wußte, daß sie die Wahrheit sprach und daß sie keinen ruhigen Tag mehr gehabt haben würde, wenn sie den Gott, für den sie gelebt und aufgewachsen, betrogen hätte: eines Tages würde sie mich verflucht haben und wäre mir entflohen. So gewaltig ist die Macht der Götter über diejenigen, welche an sie glauben, während sie sich nicht auf die Ungläubigen erstreckt. Deshalb glaube ich auch, daß sie vielleicht wirklich gestorben wäre, wenn ich sie berührt hätte. Denn ich hatte Menschen ohne eigentliche Krankheit dahinsiechen und sterben sehen, nur weil sie sich gegen einen Gott, an den sie glaubten, versündigt hatten.
    Das alles stand sicherlich schon lange vor meiner Geburt in den Sternen geschrieben und war nicht zu ändern. Deshalb aßen und tranken wir in unserem im Schilf verborgenen Boot und hielten jeden Gedanken an die Zukunft fern. Minea beugte das Haupt und streifte mein Gesicht mit ihrem Haar und lächelte mich an; und nachdem sie Wein getrunken, berührte sie mit ihren vom

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