Sinuhe der Ägypter
zu verstehen geben willst, daß du deine Jungfernschaft für Stiere bewahren mußt, so ist dies meines Erachtens etwas Unerhörtes, obwohl ich weiß, daß die Priester Syriens bei den Geheimriten der Erdmutter unberührte, aus dem Volk ausgewählte Mädchen Böcken zu opfern pflegen.«
Da schlug sie mich auf beide Wangen. Ihre Augen funkelten wie die einer Wildkatze im Dunkeln, und sie rief mit zornbebender Stimme: »Deine Worte beweisen mir, daß kein Unterschied zwischen einem Bock und einem Mann besteht. Denn deine Gedanken kreisen nur um fleischliche Dinge, weshalb eine Ziege ebensogut wie eine Frau deine Gier stillen könnte. Verschwinde in die Unterwelt, und laß mich mit deiner Eifersucht in Ruhe! Du sprichst von Dingen, von denen du nicht mehr verstehst als ein Schwein vom Silber!«
Ihre Rede war böse, und meine Wangen brannten von den Schlägen, so daß ich sie verließ und mich ins Heck des Bootes zurückzog. Zum Zeitvertreib öffnete ich mein Arztkästchen und begann meine Instrumente zu reinigen und Arzneien abzuwägen. Minea saß im Vorderteil des Bootes und trommelte verärgert mit den Fersen gegen den Boden, um sich nach einer Weile zornig die Kleider vom Leib zu reißen und diesen mit Öl einzureiben, worauf sie so heftig zu tanzen und ihre Beweglichkeit zu üben anhob, daß das Boot ins Schwanken geriet. Ich konnte es nicht lassen, insgeheim zu ihr hinzuschielen; denn ihre Fertigkeit war unglaublich groß. Sie warf sich mühelos rückwärts, um, auf die Hände gestützt, ihren Leib wie einen Bogen zu spannen und sich dann auf die Hände zu erheben. Alle Muskeln ihres Körpers zitterten unter der ölglänzenden Haut, sie rang nach Atem, und das Haar hing ihr wirr um den Kopf; denn der Tanz erforderte viel Kraft und große Kunstfertigkeit. Obgleich ich die Geschicklichkeit der Tänzerinnen in den Freudenhäusern mancher Länder bewundert, hatte ich noch nie Ähnliches gesehen.
Während ich sie so betrachtete, schmolz der Zorn in meinem Innern, und ich dachte nicht mehr daran, was alles ich verloren, indem ich dieses launenhafte und undankbare Mädchen aus dem Frauenhaus des Königs zu Babylon rettete. Ich entsann mich andererseits, daß sie dort bereit gewesen war, sich selbst mit dem Messer umzubringen, um ihre Unberührtheit zu bewahren, und verstand, daß ich schlecht und unrecht handeln würde, von ihr zu verlangen, was sie mir nicht gewähren konnte. Nachdem sie sich so müde getanzt, daß der Schweiß an ihrem ganzen Leibe perlte und jeder Muskel vor Erschöpfung zitterte, rieb sie sich den Körper und wusch sich die Glieder im Strom. Hierauf zog sie sich an und bedeckte auch ihr Haupt, und ich hörte, daß sie weinte. Da vergaß ich meine Arzneien und Instrumente, eilte zu ihr hin und berührte ihre Schulter, indem ich fragte: »Bist du krank?« Sie aber gab mir keine Antwort, stieß meine Hand beiseite und weinte noch heftiger.
Ich setzte mich neben sie und sprach schweren Herzens: »Weine nicht, Minea, meine Schwester, wenigstens nicht meinetwegen; denn ich werde dich ganz sicher nie berühren, selbst wenn du mich darum bitten solltest. Ich will dich vor Schmerz und Kummer bewahren und möchte, daß du immer diejenige bleibst, die du bist.«
Sie hob den Kopf, wischte sich unwillig die Tränen aus den Augen und fuhr mich an: »Ich fürchte weder Schmerzen noch Kummer, du Dummkopf! Und ich weine gar nicht deinetwegen, sondern über mein eigenes Schicksal, das mich von meinem Gott getrennt und so schwankend gemacht hat, so daß der Blick eines törichten Mannes meine Knie weich wie Teig werden läßt.« Sie sah mich dabei nicht an, sondern hielt den Blick abgewandt und blinzelte, um die Tränen aus den Augen zu verscheuchen.
Ich hielt ihre Hände fest, und sie entzog sie mir nicht, sondern kehrte sich mir schließlich zu: »Sinuhe, Ägypter, ich komme dir gewiß sehr undankbar und launisch vor. Aber ich weiß mir nicht zu helfen: denn ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich würde dir auch gerne mehr über meinen Gott erzählen, damit du mich besser verstehst. Doch es ist nicht gestattet, mit einem Uneingeweihten von ihm zu sprechen. Nur so viel kann ich dir sagen, daß er ein Meergott ist und in einem dunklen Haus im Berg wohnt und daß jeder, der dieses Haus betreten, für alle Zeiten bei ihm geblieben ist. Einige behaupten, er habe die Gestalt eines Stieres, obgleich er im Meer lebt, und deshalb werden die ihm Geweihten dazu erzogen, vor Stieren zu tanzen. Andere sagen, er habe
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