Sinuhe der Ägypter
zugetragen und du ohne mein Zutun leblos in diesem Krug in der Gruft der falschen Könige lägest.« Hierauf erzählte ich ihm den Verlauf der Dinge, mußte es aber wiederholt tun, bis er alles begriff und mir glaubte. Schließlich sagte ich: »Wir schweben in Lebensgefahr. Die Lust zum Lachen ist mir wahrlich längst vergangen, denn so sicher wie wir in diesem Boot sitzen, werden wir mit dem Kopf nach unten an der Mauer baumeln, falls uns der König erwischt. Es kann uns sogar noch Schlimmeres widerfahren. Da unsere Ruderer geflohen sind, ist guter Rat teuer, und du, Kaptah, mußt nun einen Ausweg finden, um uns ins Land Mitani hinüberzuretten.«
Kaptah kratzte sich am Kopf und überlegte lange. Schließlich meinte er: »Wenn ich dich recht verstanden habe, war alles Wirklichkeit und kein Trugbild, was ich im Traum oder Rausch gesehen. Wenn dem so ist, will ich diesen Tag als einen glücklichen preisen; denn dann kann ich unbehindert zur Heilung meiner Kopfschmerzen Wein trinken, obgleich ich bereits glaubte, nie im Leben mehr den Mut aufzubringen, einen Tropfen zu kosten.« Worauf er in die Kabine kroch, das Siegel eines Weinkrugs aufbrach und in tiefen Zügen trank, während er alle Götter Ägyptens und Babyloniens beim Namen nannte und pries und sogar unbekannte Götter, deren Namen er nicht wußte, anrief. Und jedesmal, wenn er den Namen eines Gottes aussprach, neigte er den Krug, bis er schließlich zu Boden sank, auf dem Teppich einschlief und wie ein Flußpferd zu schnarchen begann.
Ich war über sein Gebaren so erzürnt, daß ich ihn ins Wasser rollen und ertränken wollte; aber Minea wehrte mir mit den Worten: »Kaptah hat recht, jeder Tag hat seine Sorgen. Warum sollen wir also nicht Wein trinken und uns freuen, an diesem Ort zu sein, zu dem uns der Strom geführt hat! Es ist schön hier in der Geborgenheit des Schilfs, wo die Störche klappern. Ich sehe auch Wildenten mit gestreckten Hälsen zu ihrem Nestbau fliegen und das Wasser grün und gelb im Sonnenschein leuchten. Mein eigenes Herz fühlt sich leicht wie ein Vogel, weil ich aus der Sklaverei befreit bin.«
Ich sann über ihre Worte nach und mußte ihr recht geben, weshalb ich sagte: »Da ihr beide verrückt seid, brauche ich schließlich auch nicht gescheiter zu sein! Im Grunde genommen ist mir ja doch alles gleichgültig, und es spielt weiter keine Rolle, ob meine Haut schon morgen oder erst in zehn Jahren zum Trocknen an der Mauer hängt; denn das alles stand, wie mir die Priester des Turmes versichert haben, bereits vor unserer Geburt in den Sternen geschrieben. Die Sonne scheint warm, und das Getreide auf den Äckern am Strand steht im Reifen. Deshalb will ich im Strom baden und versuchen, mit den Händen Fische zu fangen, wie ich es als Kind zuweilen tat.«
Wir badeten und ließen die Sonne unsere Kleider trocknen und aßen und tranken Wein, und Minea opferte ihrem Gott und führte mir im Boot ihren Tempeltanz vor, so daß sich mir bei ihrem Anblick die Brust zusammenschnürte und der Atem versagte. Deshalb sprach ich zu ihr: »Nur einmal im Leben habe ich eine Frau ›meine Schwester‹ genannt; aber ihr Schoß ward mir zum brennenden Ofen, ihr Leib zur trockenen Wüste, und sie vermochte mich nicht zu erquicken. Deshalb flehe ich dich an, Minea, mich von dem Zauber zu erlösen, in den mich deine Glieder verstricken, und mich nicht mit deinen Augen anzublicken, die wie Mondschein auf dem Fluß sind; sonst werde ich dich ›meine Schwester‹ nennen, und auch du wirst mich wie jenes schlechte Weib in Tod und Verderben führen.«
Minea musterte mich neugierig und meinte: »Du hast bestimmt mit merkwürdigen Frauen verkehrt, Sinuhe, daß du solche Dinge sagst. Aber vielleicht sind die Frauen in deinem Lande so. Meinetwegen brauchst du dir aber keine Sorgen zu machen; denn ich will dich keineswegs verführen. Denn mein Gott verbietet mir, einem Manne nahezukommen, und wenn ich das Verbot übertrete, muß ich sterben. Deshalb hüte ich mich wohl davor, dich in Versuchung zu führen, wie du zu glauben scheinst, obwohl ich nicht begreife, wie du auf solche Gedanken kommen kannst.«
Sie nahm mein Haupt zwischen ihre Hände und Knie, und während sie mir Haar und Wangen streichelte, sprach sie: »Dein Kopf ist wirklich sehr dumm, daß du so schlecht von den Frauen sprichst. Wenn es auch Frauen gibt, die alle Brunnen vergiften, so gibt es zweifellos wiederum andere, die wie eine Quelle in der Wüste oder wie Tau auf einer verbrannten Wiese
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