Sinuhe der Ägypter
vor ihm verneigte und die Hände in Kniehöhe ausstreckte. Ptahor legte seine Hände auf meines Vaters Schultern, entweder um ihm anzudeuten, daß er nicht so feierlich aufzutreten brauche, oder aber um einen Halt zu suchen. Gestützt auf meines Vaters Achsel, versetzte er dem Fackelträger einen Fußtritt und hieß ihn, seinen Rausch unter der Sykomore auszuschlafen. Die Neger stießen die Sänfte in das Akaziengebüsch und setzten sich, ohne einen Befehl abzuwarten, auf den Boden.
Immer auf meines Vaters Schultern gestützt, betrat Ptahor die Veranda. Ungeachtet seiner Einwände goß ich ihm Wasser über die Hände und reichte ihm das Leinentuch. Er bat mich, seine Hände abzutrocknen, und als ich das getan, dankte er mir freundlich und nannte mich einen schönen Knaben. Mein Vater führte ihn an den Ehrenplatz, zu einem Lehnstuhl, der aus dem Hause des Gewürzkrämers entliehen war. Er ließ sich nieder und blickte mit kleinen, neugierigen Augen im Schein der Öllampen um sich. Eine Weile lang schwiegen alle. Dann räusperte er sich höflich und bat um ein Getränk, da der weite Weg seine Kehle ausgetrocknet habe. Erfreut gab mein Vater ihm von seinem Wein. Mißtrauisch schmeckte Ptahor ein wenig davon, worauf er jedoch den Becher mit sichtbarem Wohlbehagen leerte und erleichtert aufseufzte.
Er war ein kleiner, kahlköpfiger, krummbeiniger Mann mit einem Hängebauch und ebenso schlaffer Brust unter dem dünnen Stoff seines Gewandes. Sein Kragen war mit Edelsteinen besetzt, aber fleckig wie sein ganzes Kleid, er roch nach Wein, Schweiß und Salben.
Kipa bot ihm Gewürzkuchen, in Öl gebratene Fischchen, Obst und Gänsebraten an. Er aß gesittet von allem, obgleich er offenbar soeben von einer guten Mahlzeit kam. Er kostete jedes Gericht und lobte es zu Kipas großer Freude. Auf sein Geheiß brachte ich auch den Negern Speisen und Bier, sie aber erwiderten meine Höflichkeit mit Unverschämtheiten und fragten, ob der Schmerbauch nicht bald zur Heimkehr bereit sei. Der Diener schnarchte laut unter der Sykomore, und ich wollte ihn nicht wecken. Der Abend gestaltete sich sehr verworren, denn auch mein Vater trank mehr Wein, als ich ihn je zuvor hatte trinken sehen, und Kipa saß schließlich in der Küche, wackelte, den Kopf zwischen den Händen, mit dem Oberkörper hin und her.
Als der Weinkrug leer war, tranken sie von den Arzneiweinen meines Vaters, und nachdem auch diese zu Ende waren, begnügten sie sich mit gewöhnlichem Bier, da Ptahor versicherte, er verachte es nicht.
Sie sprachen von ihrer Studienzeit im Haus des Lebens und umarmten sich schwankend auf der Veranda. Ptahor erzählte von seinen Erfahrungen als königlicher Schädelbohrer und nannte es das letzte aller Gebiete, auf die ein Arzt sich spezialisieren sollte, weil es eher in das Haus des Todes als in das Haus des Lebens passe. Aber es gebe wenig zu tun, und er sei stets ein Faulpelz gewesen, wie sich mein Vater, Senmut der Friedliebende, wohl entsinnen möge. Der menschliche Kopf, mit Ausnahme der Zähne, des Halses und der Ohren, die besondere Spezialisten erforderten, war nach seiner Auffassung am leichtesten zu studieren, und deshalb habe er sich ihm gewidmet.
»Doch«, fügte er hinzu, »wäre ich ein tüchtiger Mensch gewesen, ich wäre ein gewöhnlicher, rechtschaffener Arzt geblieben und hätte Leben gespendet, während es nun mein Schicksal ist, den Tod zu bereiten, wenn die Verwandten der Greise und der Unheilbaren überdrüssig sind. Ich sollte Leben spenden wie du, mein Freund Senmut. Vielleicht wäre ich dann ärmer, aber ich würde ein ehrlicheres und gesünderes Leben führen.«
»Glaubt ihm nicht, ihr Jungen«, sagte mein Vater, denn auch Thotmes saß bei uns und hielt einen kleinen Becher Wein in seiner Hand. »Ich bin stolz, den königlichen Schädelbohrer Ptahor meinen Freund zu nennen, ihn, der auf seinem Gebiet der geschickteste Mann Ägyptens ist. Wie sollte ich mich nicht an seine wunderbaren Schädelbohrungen erinnern, durch die er Hohen und Niedrigen das Leben rettete und allgemeine Bewunderung erregte. Er trieb die bösen Geister aus, die viele Menschen zum Wahnsinn brachten, und entfernte die runden Eier aus dem Gehirn der Kranken. Dankbare Patienten haben ihm Gold und Silber, Halsketten und Trinkgefäße verehrt.«
»Aber noch Kostbareres haben mir die dankbaren Verwandten verehrt«, erklärte Ptahor mit lallender Stimme, »denn wenn ich zufällig einen von zehn, einen von fünfzig, nein, sagen wir lieber einen von
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