Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
Vom Netzwerk:
Augenblicken, da der Wein mich alles doppelt sehen ließ. Auch wußte ich dann, daß vielleicht nichts so ist, wie es aussieht; denn der Weintrinker sieht, wenn er genug getrunken hat, alles doppelt, und das erscheint ihm als wahr, obwohl er ganz gut weiß, daß es nicht der Fall ist. Hierin lag meines Erachtens das eigentliche Wesen aller Wahrheit verborgen. Doch als ich geduldig und beherrscht versuchte, dies Kaptah klarzumachen, hörte er mir überhaupt nicht zu, sondern ermahnte mich, mit geschlossenen Augen auf dem Rücken zu liegen, um mich zu beruhigen. Ich fühlte mich kalt und ohne Regung wie ein Fisch in einem Ölkrug, und die Augen wollte ich erst recht nicht schließen, weil ich dann allerlei unerquickliche Dinge vor mir sah, wie abgenagte Menschengebeine in faulendem Wasser oder eine gewisse Minea, die ich vor langer Zeit gekannt und die jetzt einen kunstreichen und schwierigen Tanz vor einer stierhäuptigen Schlange aufführte. Deshalb wollte ich die Augen nicht schließen, sondern bemühte mich, meinen Stock zu ergreifen, um Kaptah damit zu schlagen; denn ich war seiner sehr überdrüssig. Aber meine Hand war vom Wein so geschwächt, daß er mir den Stock mit Leichtigkeit entwand. Auch mein außerordentlich wertvolles Messer, das ich von dem hetitischen Hafenmeister geschenkt bekommen hatte, versteckte er vor mir, weil er wußte, daß ich nur allzu gerne das Blut aus meinen Adern hätte rinnen sehen.
    Kaptah war so dreist, trotz meinen wiederholten und inständigen Bitten Minotauros nicht zu mir kommen zu lassen; ich hätte gerne mit dem Oberpriester gesprochen, da ich ihn für den einzigen Menschen auf der Welt hielt, der mich und meine großen Gedanken über die Götter, die Wahrheit und die Illusionen völlig hätte verstehen können. Kaptah brachte mir nicht einmal ein blutiges Stierhaupt, mit dem ich mich hätte über die Stiere, das Meer und den Stiertanz unterhalten können.
    Nachträglich verstehe ich wohl, daß ich zu jener Zeit ernstlich krank war. Ich kann mich der Gedanken, die ich damals hegte, nicht mehr entsinnen, weil damals auch das Weintrinken dazu beitrug, mir die Sinne zu verwirren und das Bewußtsein zu verdunkeln. Dennoch glaube ich, daß mich der Wein davor rettete, den Verstand gänzlich zu verlieren, und mir über die schwerste Zeit hinweghalf, nachdem ich Minea und mit ihr meinen Glauben an die Götter und an die menschliche Güte für immer verloren hatte.
    Auf diese Art und Weise verflüchtigte sich mit dem Wein etwas in meiner Seele, genauso wie einst, da ich als Knabe den Priester Ammons im Allerheiligsten dem Gott ins Gesicht spucken und den Geifer dann mit dem Ärmel abwischen sah. Der Strom des Lebens hemmte wiederum seinen Lauf und breitete sich zu einem Teich aus, der an der Oberfläche schön zu schauen war und die Sterne wie den Himmel spiegelte, dessen Wasser aber, wenn du deinen Stab hineinstößt, seicht und dessen Grund voll Schlick und Kadaver war.
    Dann kam jener Morgen in der Herberge, da ich wieder zum Bewußtsein erwachte und Kaptah, den Kopf in den Händen wiegend und leise vor sich hin weinend, in einer Ecke des Zimmers sitzen sah. Mit zitternden Händen neigte ich den Weinkrug, um, nachdem ich getrunken, zornig auszurufen: »Warum weinst du, Hund?« Das war seit vielen Tagen das erstemal, daß ich ihn anredete, so satt hatte ich seine Pflege und Dummheit bekommen. Er hob den Kopf und sprach: »Im Hafen liegt ein Schiff bereit, nach Syrien zu fahren. Es dürfte das letzte sein, das vor dem Beginn der schweren Winterstürme abgeht. Nur deshalb weine ich.«
    Ich erwiderte: »So lauf zu deinem Schiff, bevor ich dich wieder mit dem Stock schlage, damit ich deine Fratze nicht mehr zu sehen und dein ewiges Gejammer nicht mehr zu hören brauche.« Kaum hatte ich dies gesagt, schämte ich mich meiner selbst, stieß den Weinkrug von mir und spürte einen peinlichen Trost darin, daß es wenigstens einen Menschen gab, der von mir abhängig war, wenn es sich auch bloß um einen entlaufenen Sklaven handelte.
    Kaptah aber sagte: »Wahrlich, Herr, auch ich bin deiner Trunksucht und deines Schweinelebens so überdrüssig, daß der Wein seinen Geschmack in meinem Mund verloren hat, was ich nie für möglich gehalten hätte; ich mag nicht einmal mehr Bier durch ein Rohr aus dem Krug saugen. Was tot ist, ist tot und kehrt nicht wieder, weshalb ich der Meinung bin, daß wir am besten daran täten, die Insel, solange es noch geht, zu verlassen. Dein Gold und Silber und alles,

Weitere Kostenlose Bücher