Sinuhe der Ägypter
du an Dinge denkst, die sich vielleicht nie zugetragen haben. Vergiß lieber alles, als wäre es bloß ein Traum gewesen, und auch ich will es vergessen!«
Neugier ergriff mich, auch ihr Geheimnis zu erfahren; aber sie wollte es mir nicht verraten, sondern berührte meine Wangen mit ihrem Mund, schlang mir den Arm um den Hals und weinte still vor sich hin. Schließlich sprach sie: »Wenn du in Theben bleibst, läufst du Gefahr, daß dieses Weib Mehunefer dir arg zusetzen und dich täglich mit ihrer Leidenschaft verfolgen wird, bis dir das Leben unausstehlich ist. Ich kenne diese Art von Weibern und weiß, wie fürchterlich sie sein können. Auch du trägst Schuld daran, da du ihr alles mögliche vorgeflunkert hast, und dies so geschickt, daß sie es glauben mußte. Deshalb tätest du am besten daran, nach Achetaton zurückzukehren, nachdem du ja bereits die nötigen Schädelbohrungen ausgeführt hast und hier keine wichtigen Aufgaben mehr hast. Sicherheitshalber solltest du ihr aber vor deiner Abreise einen Brief schreiben und sie beschwören, dich in Ruhe zu lassen; sonst wird sie dich überallhin verfolgen und zwingen, den Krug mit ihr zu zerschlagen. Dieses Schicksal möchte ich dir nicht wünschen.«
Ihr Rat war gut. Daher ließ ich Muti meine Sachen zusammenstellen und in Matten einrollen und befahl den Sklaven, meine Ruderer aus den Bierschenken und Freudenhäusern des Hafens zu holen. Inzwischen verfaßte ich einen Brief; da ich aber Mehunefer nicht beleidigen wollte, schrieb ich ihr sehr höflich das folgende:
»Der königliche Schädelbohrer Sinuhe grüßt Mehunefer, die Verwalterin der Nadelbüchse im goldenen Haus zu Theben. Meine Freundin, ich bedaure es sehr, daß dir meine Erhitzung eine falsche Vorstellung von meinem Herzen eingegeben hat! Denn ich kann dich nie mehr treffen, weil mich ein Wiedersehen mit dir zur Sünde verleiten könnte, da mein Herz bereits gebunden ist. Deshalb verreise ich und werde dich nie mehr wiedersehen. Ich kann nur hoffen, daß du dich meiner bloß als eines Freundes entsinnen wirst. Gleichzeitig mit diesem Brief sende ich dir einen Krug voll des Getränkes, das ›Krokodilschwanz‹ genannt wird und das hoffentlich deinen Kummer lindern wird. Auch verdiene ich, wie ich dir versichere, nicht, daß man mir nachtrauert; denn ich bin ein alter, schlaffer, lebensmüder Mann, an dem eine Frau wie du kaum mehr Freude haben kann. Ich freue mich, uns beide auf diese Art vor der Sünde zu bewahren, und werde dich nie wiedersehen. Das hofft inniglich dein treuer Freund Sinuhe, königlicher Arzt.«
Merit las den Brief und meinte kopfschüttelnd, er sei in viel zu mildem Ton gehalten. Nach ihrer Ansicht hätte ich mich schroffer ausdrücken und sagen sollen, Mehunefer sei in meinen Augen ein häßliches altes Weib, und ich entziehe mich ihrer Verfolgung durch Flucht, um sie loszuwerden. Ich hätte es jedoch nicht über mich gebracht, solches an eine Frau zu schreiben, und nachdem wir eine Weile darüber gestritten, ließ mich Merit den Brief zusammenrollen und versiegeln, obwohl sie immer noch unwillig den Kopf schüttelte. Ich sandte einen Sklaven mit dem Brief und dem Weinkrug in das goldene Haus, um sicher zu sein, daß Mehunefer wenigstens an diesem Abend die Verfolgung nicht aufnehmen werde. Auf diese Weise glaubte ich, sie los zu sein, und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Aber glauben ist nicht dasselbe wie wissen.
Ich war so sehr von meiner Angst bedrängt gewesen, daß ich meine Sehnsucht nach Merit ganz vergessen hatte. Doch als der Brief abgesandt war und Muti meine Schreine und Kästen für die Reise in Matten einwickelte, betrachtete ich Merit: eine unaussprechliche Wehmut erfüllte mein Herz, als ich daran dachte, daß ich sie meiner Dummheit wegen verlieren sollte, obwohl ich sonst ruhig noch eine Zeitlang hätte in Theben bleiben können. Auch Merit schien in Gedanken versunken und fragte plötzlich: »Hast du Kinder gern, Sinuhe?«
Ihre Frage verwirrte mich; aber sie blickte mir in die Augen, lächelte wehmütig und sprach: »Fürchte dich nicht, Sinuhe. Ich werde dir gewiß kein Kind gebären. Aber eine meiner Freundinnen hat einen vierjährigen Knaben, und sie spricht oft davon, wie gut es diesem bekommen würde, einmal auf einem Schiff den Strom entlangzusegeln, grüne Wiesen, wogende Felder, Wasservögel und Viehherden statt immer nur die staubigen Straßen und Katzen und Hunde Thebens zu sehen.«
Ich war sehr erschrocken und sagte: »Du meinst doch
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