Sinuhe der Ägypter
ich in einer Schenke aufgewachsen bin; womöglich kann ich überhaupt kein Kind mehr gebären. Vielleicht ist es auch besser, daß du, der du dein Schicksal im Herzen trägst, einsam bleibst und dein Leben und dein Tun nach deinem Herzen richtest, ohne an Weib und Kind gebunden zu sein; das las ich schon bei unserer ersten Begegnung in deinen Augen. Nein, Sinuhe, sprich nicht so zu mir; denn deine Worte machen mich schwach, und ich muß vielleicht gar weinen, was ich aber im Augenblick des Glückes nicht tun will. Andere bauen selbst ihr Schicksal auf und binden sich mit tausend Fesseln, du aber trägst dein Geschick im eigenen Herzen, und es ist größer als das meinige. Außerdem liebe ich diesen kleinen Knaben sehr, und vor uns liegen viele klare, heiße Tage auf dem Strom. Bilden wir uns daher ein, wir hätten den Krug zerbrochen und wären Mann und Frau – und Toth unser Sohn! Ich will ihn lehren, dich Vater und mich Mutter zu nennen; denn er ist noch klein und vergißt rasch. So leihen wir uns von den Göttern ein kleines Lebewesen, das in diesen Tagen uns gehört. Möge keine Sorge und Unruhe vor der Zukunft unsere Freude trüben!«
Also befreite ich mich von allen traurigen Gedanken, verschloß die Augen vor dem Elend Ägyptens und dem Anblick der ausgehungerten Menschen in den Dörfern am Strom und lebte bloß für den Tag, während wir stromabwärts segelten. Der kleine Thoth schlang mir die Arme um den Hals, legte seine Wange an die meinige und nannte mich »Vater«, und ich fühlte mit Behagen seinen schmächtigen Kinderkörper auf meinem Schoß. Jede Nacht spürte ich Merits Haar an meinem Hals; sie hielt meine Hände in den ihrigen, ihr Atem streifte meine Wange, sie war meine Freundin, und keine bösen Träume vermochten mich mehr zu quälen. So verflossen diese Tage wie ein Traum; rasch wie Atemzüge vergingen sie und waren nicht zu halten. Mehr will ich nicht darüber erzählen; denn die Erinnerungen stechen mir die Kehle wie Spreu, und aus meinen Augen tropft es wie Tau auf die Buchstaben. Der Mensch sollte nie zu glücklich sein, weil es nichts Flüchtigeres und Unbeständigeres gibt als Menschenglück!
7
Auf diese Weise kehrte ich nach Achetaton zurück. Doch war ich nicht mehr der gleiche wie bei meiner Abreise von dort, sondern betrachtete die Stadt der Himmelshöhe mit anderen Augen: da erschien mir die Stadt mit ihren luftigen, farbenfrohen Häusern im Sonnengold unter dem dunklen Blau des Himmels wie eine berstende Blase oder eine flüchtige Spiegelung. Auch lebte die Wahrheit durchaus nicht in Achetaton, sondern außerhalb der Stadt – und diese Wahrheit hieß Leid, Elend und Verbrechen, die der Hunger über Ägypten brachte. Merit und Thoth kehrten nach Theben zurück und nahmen mein Herz mit. Deshalb sah ich alles wieder mit kalten Augen, ohne schützende Schleier, und alles, was ich sah, dünkte meinen Augen bös.
Es vergingen nicht viele Tage nach meiner Rückkehr, bis die Wahrheit nach Achetaton gelangte und Pharao Echnaton sie auf der Terrasse des goldenen Hauses empfangen und ihr in die Augen sehen mußte: Haremhab sandte nämlich aus Memphis einen Haufen aus Syrien eingetroffener Flüchtlinge in all ihrem Jammer, damit sie mit dem Pharao sprächen; er bezahlte ihnen die Reise, und ich glaubte gar, daß er sie ermahnt hatte, ihr Elend zu übertreiben. Sie boten einen fürchterlichen Anblick, als sie in die Stadt der Himmelshöhe kamen. Die vornehmen Höflinge wurden krank und schlossen sich in ihre Häuser ein, als sie die Leute erblickten, und die Wächter des goldenen Hauses verriegelten vor ihnen die Tore. Sie aber schrien, trommelten gegen die Tore und bewarfen die Wände des goldenen Hauses mit Steinen, bis der Pharao ihre Stimme hören und sie in den inneren Hof einlassen mußte.
Dort riefen sie ihm zu: »Vernimm von unseren zerfetzten Lippen die Angstrufe der Völker! Die Macht Kêmets ist nur noch ein am Grabesrand wankender Schatten. Beim Getöse der Sturmböcke und beim Lärm der Feuersbrünste wird in den Städten Syriens das Blut all derer vergossen, die sich auf dich verließen und ihre Hoffnung auf dich setzten!«
Sie streckten ihre Armstümpfe zum goldenen Altar des Pharao empor: »Sieh unsere Hände, Pharao Echnaton! Wo sind unsere Hände?« Und sie schoben Männer vor, denen man die Augen ausgestochen; und Greise, denen man die Zunge aus dem Mund gerissen, öffneten den leeren Rachen und gaben gurgelnde Laute von sich. Die anderen aber riefen ihm zu: »Frage
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