Sinuhe der Ägypter
uns nicht nach unseren Frauen und Töchtern; denn ihr Schicksal in den Händen der Krieger Azirus oder der Hetiter ist schlimmer als der Tod! Man hat uns die Augen ausgestochen und die Hände abgehackt, weil wir uns auf dich verließen, Pharao Echnaton!«
Da bedeckte sich der Pharao das Antlitz mit den Händen, zitterte in seiner Schwäche und sprach ihnen von Aton. Aber die Krüppel lachten ihn mit gebrechlicher Stimme aus, verhöhnten ihn und riefen: »Wir wissen wohl, daß du sogar unseren Feinden das Kreuz des Lebens gesandt hast. Sie aber hängten es ihren Pferden um den Hals, und in Jerusalem hieben sie deinen Priestern die Füße ab und forderten sie dann auf, Freudensprünge zu Ehren deines Gottes zu machen.«
Pharao Echnaton stieß einen fürchterlichen Schrei aus, die heilige Krankheit befiel ihn wieder, er stürzte in Krämpfen von seinem Thron auf den Altar hinab und verlor das Bewußtsein. Als die Wächter solches sahen, erschraken sie und warfen sich auf die Flüchtlinge aus Syrien. Diese aber wehrten sich in ihrer Verzweiflung, ihr Blut floß zwischen den Steinen im inneren Hof des goldenen Hauses, und ihre Leichen wurden in den Strom geworfen. Vom Söller des goldenen Hauses sahen Nofretete und Meritaton, die kranke Meketaton und die kleine Anchesenaton dieses Schauspiel, das sie nie vergessen sollten; denn es war das erstemal, daß sie die Folgen des Krieges, Elend und Tod, gewahrten.
Den Pharao ließ ich in feuchte Umschläge wickeln, und als er wieder zu sich kam, reichte ich ihm beruhigende und betäubende Arzneien; denn diesmal war der Anfall so schwer, daß ich sein Ende befürchtete. Auf diese Art gelang es mir, ihn zum Schlafen zu bringen. Doch als er mit grauem Gesicht und vom Kopfweh geröteten Augen erwachte, sagte er zu mir: »Sinuhe, mein Freund, das muß ein Ende nehmen! Haremhab hat mir erzählt, daß du diesen Aziru kennst. Wohlan, so reise zu ihm und verschaffe mir den Frieden! Erkaufe Ägypten den Frieden, selbst wenn es mich all mein Gold kosten und Ägypten ein armes Land werden sollte.«
Ich widersprach ihm eifrig und schlug vor: »Pharao Echnaton, sende dein Gold an Haremhab! Dann wird er dir rasch mit Hilfe seiner Speere und Streitwagen Frieden verschaffen, und Ägypten wird von keiner Schmach betroffen.«
Er hielt sich den Kopf mit den Händen und sagte: »Bei Aton, Sinuhe, verstehst du denn nicht, daß Haß nur Haß erzeugt, Rache nur Rache sät und Blutvergießen neues Blutvergießen nach sich zieht, bis wir schließlich in Blut ertrinken! Welchen Nutzen haben die Leidenden davon, daß ihre Qualen durch die Qualen anderer gerächt werden? Das Gerede von Schmach ist nichts als ein Vorurteil. Deshalb befehle ich dir nochmals: Begib dich zu Aziru und erkaufe mir den Frieden!«
Ich schrak vor seinem Einfall zurück und sagte: »Pharao Echnaton, sie werden mir die Augen ausstechen und die Zunge aus dem Mund reißen, bevor ich Aziru sprechen kann. Seine Freundschaft, die er längst vergessen haben wird, nützt mir nichts. Ich bin nicht an militärische Strapazen gewöhnt, sondern fürchte mich vor dem Krieg. Meine Glieder sind steif, und ich kann daher nur langsam reisen. Auch verstehe ich meine Worte nicht so geschickt zu wählen wie einer, der von Kindheit an im Lügen geschult wurde und deine Interessen bei den Königen fremder Länder wahrt. Sende daher einen anderen Friedensmittler, nicht mich!«
Er aber wiederholte eigensinnig: »Geh und tu, was ich dir befohlen! Der Pharao hat gesprochen.«
Aber ich hatte die Flüchtlinge auf dem Hof des Palastes gesehen. Ich hatte ihre zerfetzten Lippen, ihre leeren Augenhöhlen und ihre Armstümpfe gesehen. Daher war ich keineswegs gewillt, nach Syrien zu reisen, sondern begab mich nach meinem Haus, um mich ins Bett zu legen und eine Erkrankung vorzutäuschen, bis der Pharao seinen Einfall wieder vergessen haben würde. Doch auf dem Heimweg kam mir mein Diener entgegen und sagte erstaunt:
»Gut, daß du kommst, Herr! Aus Theben ist soeben ein Schiff eingetroffen und auf diesem eine Frau namens Mehunefer, die behauptet, deine Freundin zu sein. Sie ist angezogen wie eine Braut und erwartet dich in deinem Hause, das nach ihren Salben riecht.« Da machte ich auf der Stelle kehrt und lief in das goldene Haus zurück und sprach zum Pharao: »Dein Wille geschehe! Ich fahre nach Syrien. Doch soll mein Blut über dich kommen! Wenn ich schon reisen soll, muß es sofort geschehen. Laß daher die Schreiber unverzüglich alle nötigen
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