Sinuhe der Ägypter
mir:
»Den Arzt Sinuhe grüßt die Schwester seines Herzens, Mehunefer, die Verwalterin der Nadelbüchse im goldenen Haus des Pharao. Mein kleiner Stier, mein süßer Täuberich Sinuhe! Allein, mit krankem Kopf erwachte ich auf meinem Lager. Aber mein Herz litt noch mehr als mein Haupt; denn meine Matte war leer, du warst von meiner Seite verschwunden, und ich spürte nur noch an den Händen den Duft deiner Salben. Oh, wäre ich das Tuch um deine Lenden, wäre ich der Balsam in deinem Haar und der Wein in deinem Mund, Sinuhe! Auf der Suche nach dir lasse ich mich von Haus zu Haus tragen und werde nicht rasten, bis ich dich gefunden habe; denn mein Leib ist voll Ameisen beim Gedanken an dich, und deine Augen sind den meinigen teuer. Obgleich du, wie ich weiß, schüchtern bist, sollst du dich nicht scheuen, zu mir zu kommen; denn in dem goldenen Haus kennen schon alle mein Geheimnis, und die Diener betrachten dich durch die Finger. Eile zu mir, wenn du diesen Brief erhältst, eile auf Vogelschwingen, mein Herz sehnt sich nach dir! Wenn du nicht zu mir eilst, werde ich schneller als ein Vogel zu dir geflogen kommen. Die Schwester deines Herzens, Mehunefer, grüßt dich.«
Ich las das abgeschmackte Gefasel mehrmals durch, ohne daß ich es gewagt hätte, Merit anzusehen, bis sie mir den Brief entwand, das Stäbchen, auf dem er aufgerollt war, zerbrach, das Papier zerriß, auf die Fetzen stampfte und schrie: »Ich könnte dich noch verstehen, Sinuhe, wenn sie jung und schön wäre; aber sie ist alt und runzlig und häßlich wie ein Sack, obwohl sie sich das Gesicht wie eine Lehmwand bemalt. Ich begreife wahrlich nicht, was du denkst, Sinuhe! Oder hat der Glanz in dem goldenen Haus deine Augen so verzaubert, daß du alles verkehrt siehst? Deine Aufführung macht nicht nur dich, sondern auch mich in ganz Theben zum Gespött.«
Ich raufte mir die Kleider und zerkratzte mir die Brust und rief: »Merit, ich habe eine furchtbare Dummheit begangen! Aber ich hatte meine Gründe dafür und ahnte nicht, daß ich so schrecklich bestraft werden würde. Suche meine Ruderer auf, Merit, und befiehl ihnen, die Segel auf meinem Schiff zu hissen! Ich muß fliehen! Sonst kommt dieses fürchterliche Weib und liegt mir mit Gewalt bei, und ich kann mich ihrer nicht erwehren; denn sie schreibt, sie werde rascher als ein Vogel zu mir fliegen, und ich glaube ihr.«
Merit, die meine Qual und Verzweiflung sah, schien mir endlich zu glauben, daß ich mich nicht mit Mehunefer eingelassen hatte; denn plötzlich brach sie in Lachen aus und lachte so herzlich und ungehemmt, daß ihr schöner Leib sich bis zu den Knien bog. Schließlich sagte sie, immer noch nach Atem ringend: »Ich hoffe, Sinuhe, daß dir dies eine Lehre ist, mit Frauen künftig vorsichtiger umzugehen! Wir Frauen sind spröde Gefäße, und ich weiß ja selbst, was für ein Verführer du bist, Sinuhe, mein Geliebter.« Sie verhöhnte mich unbarmherzig, indem sie Demut heuchelte, und sagte: »Ich ahne, daß diese feine Dame dich auf ihrer Matte köstlicher dünkt als ich. Auch hat sie sich mindestens doppelt so lange in der Liebeskunst geübt, so daß ich es in keiner Weise mit ihr aufnehmen kann. Ich fürchte daher, daß du mich ihretwegen grausam verlassen wirst.«
Meine Not war so groß, daß ich Merit schließlich in das frühere Haus des Kupferschmieds brachte und ihr dort alles mitteilte. Ich erzählte ihr das Geheimnis meiner Geburt und alles, was ich Mehunefer entlockt hatte, und erklärte ihr auch, warum ich mich dagegen sträubte zu glauben, daß meine Geburt etwas mit dem goldenen Haus und der Prinzessin von Mitani zu tun habe. Sie hörte mir gespannt zu und lachte nicht mehr. Sie starrte an mir vorbei, und der Kummer verfinsterte den Grund ihrer Augen immer mehr. Schließlich legte sie mir die Hand auf die Schulter und sagte: »Jetzt verstehe ich vieles, Sinuhe, auch Dinge, die ich früher an dir nicht verstehen konnte. Nun weiß ich, warum mich deine Einsamkeit ohne Stimme rief und weshalb ich unter deinen Blicken schwach wurde. Auch ich trage an einem Geheimnis und war in diesen Tagen versucht, es dir zu verraten. Jetzt aber freue ich mich und danke den Göttern, daß ich es nicht erzählt habe! Geheimnisse sind schwer zu tragen und oft sogar gefährlich; und es ist daher besser, sie allein zu schleppen, als auf zwei Träger zu verteilen. Trotzdem bin ich froh, daß du mir alles erzählt hast. Aber wie du selbst sagst, ist es klüger, dein Herz nicht zu peinigen, indem
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