Sinuhe der Ägypter
Pferde auf der Weide ein, und Schmiede verstärkten die Räder der Streitwagen. Inzwischen hielt ich Umschau und entdeckte dabei das Geheimnis aller kriegerischen Erziehung, durch das die Männer mutiger als Löwen werden. Ein hervorragender Befehlshaber hält nämlich seine Leute in so fürchterlicher Zucht, ermüdet sie derart durch Übungen und macht ihnen das Leben in jeder Hinsicht so unerträglich, daß ihnen jedes andere Schicksal, selbst Krieg und Tod, besser als das Dasein im Hause der Krieger erscheint. Das seltsamste dabei aber ist, daß die Soldaten ihren Vorgesetzten nicht hassen, sondern sehr bewundern und preisen und stolz sind auf all die ausgestandenen Mühen und auf alle von Peitschenhieben auf ihrem Rücken hinterlassenen Male. So merkwürdig und überraschend ist die menschliche Natur – und als ich das bedachte, rückte die Stadt Achetaton wie ein Traum und Trugbild in die Ferne.
Auf Haremhabs Befehl wurden zu meinem Schutze zehn Streitwagen ausgerüstet: ein jeder von zwei Pferden gezogen und von einem Ersatzpferd gefolgt, und außer dem Lenker befanden sich auf jedem Wagen ein Speerwerfer und ein Fußkämpfer. Als sich der Führer der Geleitmannschaft bei mir meldete, verneigte er sich tief und streckte die Hände in Kniehöhe vor. Ich betrachtete ihn forschend; denn er war der Mann, dem ich mein Leben anvertrauen sollte. Sein Lendentuch war ebenso schmutzig und zerfetzt wie das der Soldaten, die Wüstensonne hatte ihm Gesicht und Leib schwarz gebrannt, und bloß die silberdurchwirkte Peitsche unterschied ihn von den Soldaten. Aber gerade deshalb verließ ich mich mehr auf ihn, als wenn er in kostbare Stoffe gekleidet und durch einen Sonnenschirm geschützt gewesen wäre. Er vergaß die militärische Achtung und brach in Gelächter aus, als ich von einer Sänfte zu reden begann. Ich schenkte ihm Glauben, als er erklärte, daß unsere einzige Sicherheit in der Schnelligkeit bestehe, und ich daher mit ihm in seinem Wagen fahren und auf die Sänfte wie auch auf jede andere gewohnte Bequemlichkeit verzichten müsse. Er versprach, ich dürfe, wenn ich wolle, auf einem Futtersack sitzen, versicherte jedoch gleichzeitig, ich täte besser daran, im Wagenkorb zu stehen und mich dessen Bewegungen anzupassen, weil mir die Wüste sonst die Seele aus dem Leib rütteln und die Knochen an der Wand des Wagens zertrümmern würde.
Ich ermannte mich und erklärte in überlegenem Ton, es sei keineswegs das erstemal, daß ich in einem Streitwagen fahre; ich sei bereits einmal in kürzester Zeit von Simyra zu Aziru gejagt, so daß sogar die Amoriter über die Geschwindigkeit meiner Reise gestaunt hätten, wenn ich auch damals jünger gewesen und mir meine heutige Würde gebot, auf körperliche Anstrengung zu verzichten. Der Offizier, dessen Namen Juju lautete, hörte mir höflich zu, worauf ich mein Leben dem Schutz aller ägyptischen Götter anvertraute und hinter ihm den vordersten Wagen bestieg. Juju ließ seinen Wimpel flattern und stachelte die Pferde brüllend an. Wir stürmten auf einem Karawanenweg in die Wüste hinaus, mein Körper wurde auf den Futtersäcken hin und her geschleudert, ich hielt mich mit beiden Händen an den Wagenseiten fest, schlug mir die Nase blutig und jammerte über mein Elend. Aber mein Wehklagen ertrank im Dröhnen der Räder, und die Lenker hinter mir stießen wilde Freudenrufe aus, weil sie von der glühenden Hölle der Lehmhütten weit fort in die Wüste hinausfahren durften.
So reisten wir den ganzen Tag. Ich übernachtete, mehr tot als lebendig, auf den Futtersäcken, und ich verfluchte bitterlich den Tag meiner Geburt. Am folgenden Tag versuchte ich, im Wagen zu stehen und mich an Jujus Gürtel festzuhalten; aber nach einer Weile fuhr der Wagen über einen Stein, ich flog in weitem Bogen hinaus und fiel kopfüber in den Sand, wo mir Dorngewächs das Gesicht zerriß. Doch kümmerte ich mich nicht mehr darum. Als wir uns wiederum zu übernachten anschickten, war Juju über meinen Zustand beunruhigt und goß mir Wasser über den Kopf, obwohl er aus Sparsamkeitsgründen den Soldaten nicht genügend zu trinken gab. Er hielt mich bei der Hand und tröstete mich, indem er mir versicherte, daß die Reise bisher gut verlaufen sei, und daß wir, falls die Freischärler uns auch am folgenden Tage nicht überraschten, vielleicht schon am vierten Tag auf einige Späher Azirus stoßen würden.
Im Morgengrauen riß mich Juju aus dem Schlaf, indem er mich ohne Umstände vom Wagen in den
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