Sinuhe der Ägypter
sein Achseltuch schmutzig, zerrissen und seine Augen blutunterlaufen waren und seine Stirn eine große Beule trug. Er war gealtert, abgemagert, und trotz seiner Jugend lagen Falten um seine Mundwinkel. Nur seine Augen funkelten mich noch ansteckend kühn und unternehmungslustig an, und er beugte seinen Kopf zu mir, so daß unsere Wangen sich berührten. Damit wußte ich, daß wir noch Freunde waren.
»Mein Herz ist schwer von Kummer, und alles ist nichtig«, sprach ich zu ihm. »Deshalb habe ich dich aufgesucht, damit wir unsere Herzen gemeinsam mit Wein erquicken, denn niemand gibt mir Antwort auf meine Frage: ›Warum?‹«
Thotmes hob seinen Lendenschurz, um zu zeigen, daß er nicht die Mittel besitze, um Wein zu kaufen.
»Ich trage vier Deben Silber an den Handgelenken«, sagte ich stolz. Thotmes aber wies auf meinen Kopf, der immer noch glatt rasiert war, weil ich den Menschen zeigen wollte, daß ich ein Priester ersten Grades sei. Sonst besaß ich ja nichts, worauf ich hätte stolz sein können. Aber jetzt ärgerte es mich, daß ich mein Haar nicht hatte wachsen lassen. Deshalb sagte ich ungeduldig:
»Ich bin kein Priester, sondern ein Arzt. Ich glaube über der Tür gelesen zu haben, daß hier auch Wein aus dem Hafen ausgeschenkt wird. Laß uns versuchen, wie er schmeckt!« Dabei klirrte ich mit den Silberreifen an meiner Hand. Der Wirt eilte herbei und verbeugte sich vor mir und streckte die Hände in Kniehöhe vor.
»Ich habe in meinem Keller Weine aus Sidon und Byblos, deren Siegel noch ungebrochen und die süß von Myrrhe sind«, erklärte er. »Es gibt auch gemischte Weine in bunten Bechern. Sie steigen einem in den Kopf wie das Lächeln eines schönen Mädchens und erfreuen das Herz.« Noch viel anderes sprach und plapperte er, ohne ein einziges Mal Atem zu schöpfen, so daß ich schließlich verlegen wurde und Thotmes fragend ansah. Thotmes bestellte uns gemischten Wein. Ein Sklave goß Wasser über unsere Hände und stellte auf einen niedrigen Tisch vor uns eine Schüssel mit gerösteten Lotossamen. Der Wirt brachte selbst die bunten Becher. Thotmes hob einen Becher, goß einen Tropfen auf den Boden und sagte: »Für den göttlichen Töpfer! Möge die Pest die Kunstschule und ihre Lehrer verschlingen!« Und er zählte die Namen der ihm am meisten verhaßten Lehrer auf.
Auch ich hob meinen Becher und goß einen Tropfen auf den Boden. »Im Namen Ammons«, sagte ich, »möge sein Boot ewig kentern, mögen die Bäuche seiner Priester platzen, und möge die Pest die unwissenden Lehrer im Haus des Lebens verschlingen!« Aber ich sagte es mit leiser Stimme und blickte mich um, ob kein Fremder meine Worte höre.
»Fürchte dich nicht«, sagte Thotmes. »In diesem Wirtshaus hat man schon so viele Ohren Ammons zerrissen, daß er das Horchen satt bekommen hat. Wir alle hier drinnen sind ohnehin Verworfene. Ich vermöchte mir nicht einmal Brot und Bier zu kaufen, wenn ich nicht auf die Idee gekommen wäre, Bilderbücher für die Kinder der Reichen zu zeichnen.«
Er zeigte mir Papyrusrollen, auf die er, als ich die Weinstube betrat, Bilder zeichnete. Ich mußte lachen, denn ich sah eine Festung, die durch eine vor Schrecken zitternde Katze gegen angreifende Mäuse verteidigt wurde. Außerdem hatte er noch ein Flußpferd gezeichnet, das in einem Baumwipfel saß und sang, während eine Taube auf einer Leiter mühsam den Baum erkletterte.
Thotmes sah mich an, und seine braunen Augen lächelten. Aber er entfaltete die Rolle weiter – und da lachte ich nicht mehr, denn ein Bild kam zum Vorschein, auf dem ein kleiner kahlköpfiger Priester den Pharao als Opfertier an einem Seil zum Tempel führte. Weiter zeigte er mir ein Bild, auf dem ein kleiner Pharao sich vor einer mächtigen Ammonstatue verbeugte. Ich sah ihn fragend an. Er nickte und sagte:
»Ist es etwa nicht so? Auch die Erwachsenen lachen über die Bilder, weil sie unsinnig sind. Es ist ja lächerlich, daß eine Maus eine Katze angreift, und ebenso lächerlich, daß ein Priester einen Pharao führt. Aber die Wissenden fangen an, sich allerlei zu denken. Deshalb leide ich keinen Mangel an Brot und Bier, bis mich die Priester eines Tages von ihren Wächtern an einer Straßenecke totschlagen lassen. Derlei ist schon vorgekommen.«
»Laß uns trinken!« sagte ich, und wir tranken Wein, aber mein Herz empfand keine Freude. »Ist es unrecht zu fragen: ›Warum?‹« sagte ich.
»Natürlich ist es unrecht«, erklärte Thotmes, »denn ein Mensch, der
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