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Sinuhe der Ägypter

Sinuhe der Ägypter

Titel: Sinuhe der Ägypter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Waltari
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›Warum?‹ zu fragen wagt, hat kein Heim, kein Obdach und kein Nachtlager im Lande Kêmet. Alles soll beim alten bleiben, das weißt du ja. Du wirst dich erinnern, Sinuhe, daß ich vor Stolz und Freude zitterte, als ich in die Kunstschule aufgenommen wurde. Ich glich einem Dürstenden, der eine Quelle findet. Ich glich einem Hungernden, der nach einem Stück Brot greift. Und ich lernte viel Nützliches. Ich lernte, wie ein Künstler seinen Stift zu halten und seinen Meißel zu handhaben hat, wie ein Modell in Wachs zu formen ist, ehe es in Stein gehauen wird, und wie Stein poliert, Alabaster gefärbt und farbige Steine zusammengefügt werden. Doch als ich vor Eifer brannte, ans Werk zu gehen, um zur Freude meiner Augen das zu gestalten, was mir träumte, da stieß ich an eine Mauer, und man hieß mich Lehm treten, den andere formen sollten. Denn über allem steht eine Formel. Die Künste, genau wie die Buchstaben, haben ihre Formeln, und wer dagegen verstößt, wird verdammt. Deshalb gibt es für alles ein Vorbild, und wer von ihm abweicht, taugt nicht zum Künstler. Seit Urzeiten ist es vorgeschrieben, wie man einen stehenden Menschen abzubilden hat und wie einen sitzenden. Seit Urzeiten ist es festgesetzt, wie ein Pferd seine Füße hebt und ein Ochse seinen Schlitten zieht. Seit Urzeiten ist es bestimmt, wie ein Künstler seine Arbeit auszuführen hat, und wer davon abweicht, ist untauglich für den Tempel, und Stein und Meißel werden ihm verweigert. O Sinuhe, mein Freund, auch ich habe gefragt: ›Warum?‹ Nur zu oft habe ich ›Warum?‹ gefragt. Deshalb sitze ich hier mit Beulen am Kopf.«
    Wir tranken Wein und wurden besserer Stimmung. Mein Herz fühlte sich erleichtert, denn ich war nicht mehr einsam. Und Thotmes sagte:
    »Sinuhe, mein Freund, wir wurden zu einer seltsamen Zeit geboren. Alles bewegt sich und wechselt seine Form, wie der Lehm auf der Drehscheibe des Töpfers. Die Kleidung ändert sich, die Worte und die Sitten ändern sich, und die Menschen glauben nicht mehr an die Götter, obwohl sie sie noch immer fürchten. Sinuhe, mein Freund, vielleicht wurden wir geboren, um im Sonnenuntergang der Welt zu leben, denn die Welt ist bereits alt geworden, nachdem tausend und zweitausend Jahre seit der Erbauung der Pyramiden vergangen sind. Wenn ich daran denke, möchte ich am liebsten mein Haupt in meine Hände stützen und weinen wie ein Kind.«
    Aber er weinte nicht, denn wir tranken gemischten Wein aus farbenfrohen Bechern, und beim Wiederauffüllen unserer Becher verbeugte sich der Wirt des »Syrischen Kruges« jedesmal vor uns und streckte seine Hände in Kniehöhe vor. Von Zeit zu Zeit kam ein Sklave und goß Wasser über unsere Hände. Mir wurde so leicht ums Herz wie einer segelnden Schwalbe. Ich hätte Gedichte vortragen und die ganze Welt umarmen mögen.
    »Gehen wir in ein Freudenhaus«, sagte Thotmes lachend. »Gehen wir tanzende Mädchen bewundern, damit unsere Herzen sich erfreuen, und wir nicht länger › Warum?‹ zu fragen noch Wein zu trinken wünschen.«
    Ich bezahlte mit dem einen Armreifen und empfahl dem Wirt, ihn sorgfältig zu behandeln, weil er noch feucht sei von dem Wasser eines schwangeren Weibes. Dieser Gedanke ergötzte mich sehr, und auch der Wirt lachte herzlich und wechselte mir eine ganze Menge gestempelte Silberstücke, so daß ich auch dem Sklaven davon geben konnte. Dieser verneigte sich vor mir bis zum Boden, und der Wirt begleitete uns zur Tür und bat mich, den »Syrischen Krug« nicht zu vergessen. Er behauptete noch, eine Menge unbefangener junger Mädchen zu kennen, die gerne meine Bekanntschaft machen würden, falls ich sie mit einem bei ihm gekauften Weinkrug aufsuchen möchte. Aber Thotmes erklärte, daß bereits sein Großvater mit diesen syrischen Mädchen geschlafen habe. Man könnte sie also eher Großmütter als Schwestern nennen. So scherzhaft waren wir durch den Wein geworden.
    Wir zogen durch die Straßen. Die Sonne war gesunken, und ich lernte nun jenes Theben kennen, in dem es niemals Nacht ward, weil die vergnügungssüchtigen Menschen ihren prunkhaften Stadtteil in der Nacht taghell erleuchteten. Vor den Freudenhäusern flammten Fackeln, und auf Säulen an den Straßenecken brannten Lampen. Sänftentragende Sklaven kamen gelaufen, und die Rufe der Vorläufer mischten sich mit den Klängen der aus den Häusern strömenden Musik und mit dem Gegröle der vom Wein Berauschten. Wir warfen einen Blick in die Weinstube der Kuschländer und sahen Neger

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