Sinuhe der Ägypter
Zeiten waren unruhig, und der große Pharao war krank. Ich sah sein vertrocknetes Greisengesicht, als er beim Herbstfest in den Tempel getragen wurde, mit Gold und Edelsteinen geschmückt, unbeweglich wie ein Götzenbild, den Kopf unter der Schwere der Doppelkrone gebeugt. Er war krank, und die Mittel der königlichen Ärzte vermochten ihn nicht mehr zu heilen, und ein Gerücht wußte zu erzählen, daß seine Zeit abgelaufen sei und daß sein Nachfolger bald den Thron der Pharaonen besteigen werde. Der Thronerbe aber war noch ein Jüngling wie ich.
Im Tempel fanden Opfer und Zeremonien statt, aber Ammon vermochte seinem göttlichen Sohn nicht zu helfen, obwohl Pharao Amenophis der Dritte ihm den mächtigsten Tempel aller Zeiten errichtet hatte. Es wurde auch behauptet, daß der König den Göttern Ägyptens grolle und daß er einen Eilboten zu seinem Schwiegervater, dem König von Mitani im Lande Naharina, entsandt habe, um die Wundertäterin von Ninive, Ischtar, zu seiner Heilung zu fordern. Doch das bedeutete eine solche Schmach für Ammon, daß man auf dem Tempelgebiet und im Haus des Lebens nur flüsternd davon sprach.
Das Bildnis der Ischtar kam, und ich sah krausbärtige Priester mit seltsamen Kopfbedeckungen und dicken Wollmänteln es schweißtriefend unter dem Klang metallener Posaunen und dem Gerassel kleiner Trommeln durch Theben tragen. Zur Freude der Priester aber vermochte auch die Gottheit des fremden Landes dem Pharao nicht zu helfen, denn als die Wasser des Stromes zu steigen begannen, wurde der königliche Schädelbohrer in den Palast berufen.
Seit ich im Haus des Lebens weilte, hatte ich Ptahor noch nie gesehen. Schädelbohrungen kamen selten vor, und ich wurde während meiner Lehrzeit weder zur Pflege noch zu Operationen auf solchen Spezialgebieten zugelassen. Jetzt wurde Ptahor eilends aus seinem vornehmen Wohnsitz ins Haus des Lebens getragen. Er reinigte sich im Vorbereitungsraum, und ich war darauf bedacht, mich in seiner Nähe zu halten. Er war ebenso kahlköpfig wie früher, sein Gesicht war runzlig geworden, und seine Wangen hingen traurig zu beiden Seiten des mürrischen Greisenmundes herab. Er erkannte mich, lächelte und sagte: »Du bist es, Sinuhe? Bist du wirklich schon so weit gekommen, du Sohn Senmuts?« Er reichte mir einen Schrein aus Ebenholz, in dem er seine Instrumente aufbewahrte, und hieß mich ihm folgen. Das bedeutete eine unverdiente Ehre für mich, um die mich sogar ein königlicher Arzt beneidet hätte, und ihr entsprechend trat ich auf.
»Erst muß ich die Sicherheit meiner Hand erproben«, sagte Ptahor. »Wir beginnen damit, hier ein paar Schädel zu öffnen, damit wir sehen, wie die Arbeit vonstatten geht.« Seine Augen waren wässerig, und seine Hände zitterten ein wenig. Wir gingen in den Krankensaal hinüber, in dem die Unheilbaren, die Gelähmten und die Patienten mit Kopfverletzungen lagen. Ptahor untersuchte einige von ihnen und wählte einen alten Mann, für den der Tod eine Befreiung bedeutet hätte, und einen starken Sklaven, der die Sprache verloren hatte und seine Glieder nicht mehr bewegen konnte, weil sein Kopf bei einer Straßenprügelei mit einem Stein eingeschlagen worden war. Beide erhielten ein Betäubungsmittel und wurden in das Operationszimmer übergeführt und gereinigt. Ptahor wusch seine Instrumente selbst und läuterte sie im Feuer. Meine Aufgabe bestand darin, den beiden Patienten mit dem feinsten Messer die Häupter kahlzuschaben. Alsdann wurde der Kopf nochmals gewaschen und gesäubert und die Haut mit einer betäubenden Salbe eingerieben: Jetzt konnte Ptahor ans Werk gehen. Erst schnitt er die Kopfhaut des Greises auf und schob sie zur Seite, ohne sich um die reichliche Blutung zu kümmern. Dann machte er mit einem groben, rohrförmigen Bohrer geschickt ein Loch in das entblößte Scheitelbein und zog das lose Knochenstück heraus. Der Greis begann zu jammern, und sein Gesicht färbte sich blau.
»Ich finde keinen Fehler in seinem Schädel«, sagte Ptahor, drückte das Knochenstück wieder an seinen Platz, nähte die Haut mit einigen Stichen zu und verband den Kopf, worauf der Alte sein Leben aushauchte.
»Meine Hände scheinen ein wenig zu zittern«, bemerkte Ptahor. »Vielleicht bringt mir einer von den jungen Leuten einen Becher Wein.« Unter den Zuschauern befanden sich, außer den Lehrern aus dem Haus des Lebens, alle jene Schüler, die Kopfärzte werden wollten. Nachdem Ptahor seinen Wein erhalten hatte, widmete er seine
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