Sinuhe der Ägypter
wimmelte es von Schiffen. Man sah hölzerne Ruderfahrzeuge der Reichen und mit Pech verdichtete Binsenboote der Armen. Als das Volk uns entdeckte, ging ein Hüstern durch die Menge, ähnlich dem Rauschen ferner Wasser, und von Mund zu Mund verbreitete sich die Kunde von der Ankunft des königlichen Schädelbohrers. Da streckten alle ihre Hände in Trauerstellung empor, und ihr Jammern und ihr Klagen begleiteten uns zum Palast hinauf, denn jedermann wußte, daß noch kein Pharao nach der Schädelbohrung den dritten Sonnenaufgang erlebt hatte.
Wir wurden durch das Lilientor in die königlichen Gemächer geführt. Vornehme Hofleute waren unsere Diener und verbeugten sich bis zum Boden vor Ptahor und mir, denn wir trugen den Tod in unseren Händen. Man hatte in aller Eile ein Reinigungszimmer für Ptahor und mich eingerichtet, doch nachdem Ptahor einige Worte mit dem Leibarzt gewechselt hatte, hob er die Hände zum Zeichen der Trauer und vollzog gleichgültig die Reinigungszeremonien. Das heilige Feuer wurde hinter uns hergetragen, während wir durch eine Flucht von prachtvollen königlichen Gemächern zum Schlafzimmer des Pharao schritten.
Der große König ruhte auf seinem Lager unter einem goldenen Baldachin. Die Pfeiler seines von Löwen getragenen Bettes stellten Schutzgötter dar. Aller Zeichen seiner Macht entkleidet, ruhte er aufgedunsen, nackten Leibes, zerfallen und bewußtlos. Das magere Greisenhaupt hatte er zur Seite geneigt und röchelte schwer, während der Speichel aus dem erschlafften Mundwinkel floß. So vergänglich und schattenhaft sind irdische Macht und Ehre, daß ein Pharao nicht zu unterscheiden ist von einem sterbenden Greis in der Empfangshalle im Haus des Lebens. Aber an den Wänden seines Gemaches sah man ihn noch immer in seinem königlichen Wagen, von schnellen, federbuschgeschmückten Pferden gezogen. Sein starker Arm spannte den Bogen, und durchbohrt von seinen Pfeilen sanken die Löwen tot zu Boden. Die Wände seines Gemaches leuchteten in Rot, Gold und Blau. Die Verzierung des Fußbodens bildeten schwimmende Fische, fliegende Wildenten mit rauschenden Flügelschlägen und im Winde wehendes Schilf.
Wir verbeugten uns bis zum Boden vor dem sterbenden Pharao. Jeder, der den Tod kennt, wußte, daß Ptahors Kunst vergeblich sein würde. Doch seit jeher pflegte man als letzten Ausweg den Schädel des Pharao zu öffnen, falls er nicht eines natürlichen Todes sterben konnte. So sollte es auch jetzt geschehen, und wir gingen ans Werk. Ich öffnete den Ebenholzschrein, reinigte noch einmal die Messer, Bohrer und Zangen im Feuer und reichte Ptahor das heilige Steinmesser. Der Leibarzt hatte bereits den Kopf des Pharao geschoren und gewaschen, und Ptahor befahl dem Blutstiller, sich auf den Rand des Bettes zu setzen und den Kopf des Pharao in seinen Schoß zu nehmen.
Da trat die große königliche Gemahlin Teje ans Lager und verwehrte es ihm. Bis jetzt hatte sie, unbeweglich wie ein Götzenbild, an der Wand gestanden, die Arme zum Zeichen der Trauer erhoben. Hinter ihr standen der junge Thronerbe Amenophis und seine Schwester Baketamon r doch hatte ich es bis jetzt nicht gewagt, meine Blicke zu ihnen zu erheben. Jetzt, da die Verwirrung im Zimmer entstand, erkannte ich sie nach den königlichen Bildern des Tempels. Der Thronerbe stand in meinem Alter, doch war er von höherem Wuchs als ich. Er trug sein Haupt aufrecht, schob das stark entwickelte Kinn vor und hielt die Augen fest geschlossen. Seine Glieder waren krankhaft schmächtig, und seine Augenlider und Kiefernmuskeln zitterten. Die Prinzessin Baketamon besaß regelmäßige vornehme Züge und große längliche Augen. Ihr Mund und ihre Wangen waren orangefarbig bemalt, und ihr Gewand aus königlichem Leinen ließ ihre göttliche Gestalt durchscheinen. Aber eindrücklicher als diese beiden wirkte die erhabene Königsgemahlin Teje, obgleich sie klein von Wuchs und im Lauf der Jahre rundlich geworden war. Ihre Haut war sehr dunkel, und ihre Backenknochen standen breit hervor. Es wurde behauptet, daß sie ursprünglich ein einfaches Weib aus dem Volke war und daß Negerblut in ihren Adern fließe, doch kann ich mich hierüber nicht äußern, weil ich es nur von andern vernommen habe. Dagegen weiß ich, daß ihre Augen klug, furchtlos und scharf waren und ihre Haltung Macht verriet, obwohl ihre Eltern keine Ehrentitel in den Schriften trugen. Als sie die Hand bewegte und den Blutstiller ansah, schien er nicht mehr als ein Staubkorn unter ihren
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