Sinuhe der Ägypter
Sohn Sinuhe, wenn du wüßtest, wie viele Geheimnisse hinter dem Stirnbein des alten Schädelbohrers ruhen! Vielleicht verbergen sich dort sogar königliche Geheimnisse, und mancher fragt sich wohl erstaunt, warum nie ein lebender Knabe im Frauenhaus des Palastes geboren wurde; denn das widerspricht allen Gesetzen der Heilkunst. Auch er, der jetzt mit geöffnetem Schädel dort drinnen ruht, war in den Tagen seiner Kraft und seiner Freude kein Verächter eines guten Bechers. Er war ein großer Jäger, der im Laufe seines Lebens tausend Löwen und fünfhundert Auerochsen zu Fall gebracht hat, das können wohl nicht einmal die Wächter des Frauenhauses zählen. Und trotzdem besitzt er nur von der königlichen Teje einen Sohn.«
Ich begann unruhig zu werden, denn auch ich hatte Wein getrunken. Deshalb seufzte ich und betrachtete den grünen Stein an meinem Finger. Ptahor aber fuhr unerbittlich fort:
»Seine große königliche Gemahlin fand er, der jetzt dort drinnen liegt, auf einer Jagdreise. Man behauptet, daß Teje damals bloß eine Vogelfängerin im Schilfe des Nils war, doch der König machte sie um ihrer Klugheit willen zu seinesgleichen, und auch ihren einfachen Eltern zollte er Achtung und füllte ihr Grab mit den kostbarsten Geschenken. Teje hatte nichts gegen seine Leidenschaft, solange die Nebenfrauen keine Knaben gebaren. Hierin war sie von einem fast unglaublichen Glück begünstigt. Doch wenn er, der dort drinnen ruht, auch das Zepter und die Geißel in seiner Hand trug, so war es doch die große königliche Gemahlin, die diese Hand und diesen Arm führte. Als der König sich aus Staatsgründen mit der Tochter des Königs von Mitani vermählte, um für alle Zeiten Kriege in Naharina zu verhindern, überzeugte ihn Teje, daß die Prinzessin an Stelle eines Leibes, nach dem des Mannes Verlangen steht, einen Ziegenhuf habe, und daß sie nach einer Ziege rieche. So erzählt man wenigstens, und diese Prinzessin wurde übrigens später wahnsinnig.«
Ptahor schielte auf mich, sah sich rasch um und fügte hinzu: »Doch sollst du, Sinuhe, diesen Geschichten keinen Glauben schenken, denn sie stammen von böswilligen Schwätzern, und ein jeder kennt die Milde und Weisheit der großen königlichen Gemahlin und auch ihre Gabe, fähige Männer um sich und den Thron zu versammeln. So ist es!«
Alsdann sagte er: »Führe mich, mein Sohn Sinuhe, denn ich bin ein alter Mann, und meine Füße sind schwach.«
Ich geleitete ihn an die frische Luft hinaus, die Nacht war herabgesunken, und im Osten flammten die Lichter Thebens über der roten Glut des Himmels. Ich hatte Wein getrunken und fühlte das Fieber Thebens von neuem in meinem Blute brennen, während die Blumen im Garten dufteten und die Sterne über meinem Haupte blinkten.
»Ptahor«, sagte ich, »mich dürstet nach Liebe, wenn die Lichter Thebens die Finsternis der Nacht erhellen.«
»Es gibt keine Liebe«, erklärte Ptahor bestimmt. »Ein Mann ist traurig, wenn er kein Weib besitzt, mit dem er schlafen kann. Doch wenn er mit einem Weib geschlafen hat, ist er noch trauriger als zuvor. So ist es, und so wird es bleiben.«
»Warum?« fragte ich.
»Das wissen selbst die Götter nicht«, sagte Ptahor. »Sprich nicht von Liebe zu mir, sonst öffne ich dir deinen Schädel. Ich tue es umsonst und ohne um das kleinste Geschenk zu bitten, denn dadurch erspare ich dir viel Kummer.«
Da hielt ich es für das beste, die Pflichten eines Sklaven zu übernehmen. Ich nahm ihn in meine Arme und trug ihn in das Zimmer, das uns angewiesen worden war. Er war so klein und so alt, daß ich ihn ohne jede Anstrengung tragen konnte. Als ich ihn aufs Bett legte, schlief er sofort ein, nachdem er noch vergeblich nach einem Weinbecher getastet hatte. Ich deckte ihn mit weichen Fellen zu, denn die Nacht war kalt. Dann ging ich wieder auf die Blumenterrasse hinaus, denn ich war noch jung, und die Jugend sehnt sich nicht nach Schlaf in der Todesnacht des Königs.
Bis zur Terrasse hinauf drang das Gemurmel der Menschen, die vor den Mauern des Palastes übernachteten, wie fernes Windesrauschen im Schilf.
2
Ich wachte beim Duft der Blüten, und die Lichter Thebens leuchteten grellrot am östlichen Himmel, und ich entsann mich zweier Augen, die grün wie die Wasser des Nils in der Sommerhitze waren, bis ich plötzlich merkte, daß ich mich nicht allein auf der Terrasse befand.
Schmal war des Mondes Sichel, blaß und flackernd das Licht der Sterne, so daß ich nicht zu unterscheiden
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