Sinuhe der Ägypter
Aufmerksamkeit dem Sklaven, der festgebunden dasaß und trotz des betäubenden Trankes zornig um sich blickte. Ptahor gebot, ihn noch fester anzubinden, und sein Kopf wurde an einem Schädelgestell befestigt, das selbst ein Riese nicht zu verrücken vermocht hätte. Ptahor öffnete dem Mann die Kopfhaut, und diesmal achtete er genau auf die Blutung. Die Adern am Rande der Kopfhaut wurden mit Feuer behandelt, damit sie sich schlossen, und das Blut wurde mit Medikamenten gestillt. Dies mußten die anderen Ärzte besorgen, denn Ptahor wollte seine Hände nicht ermüden. Allerdings gab es im Haus des Lebens wie üblich einen Blutstiller, einen Mann, der nur durch seine bloße Anwesenheit jede Blutung in kurzer Zeit stillte. Ptahor aber wollte eine Vorlesung halten und gleichzeitig die Kräfte des Blutstillers für den Pharao sparen.
Nachdem Ptahor die Schädeldecke gereinigt hatte, zeigte er allen Anwesenden die Stelle, wo der Knochen eingedrückt worden war. Unter Verwendung eines Bohrers, einer Säge und einer Zange löste er ein faustgroßes Stück aus der Hirnschale und zeigte wiederum allen, wie sich zwischen den weißen Gehirnwindungen geronnenes Blut gesammelt hatte. Mit äußerster Vorsicht entfernte er das Blut, Körnchen um Körnchen, und zog einen in die Gehirnmasse eingedrungenen Knochensplitter heraus. Die Operation dauerte geraume Zeit, so daß jeder Schüler Gelegenheit fand, Ptahors Arbeitsweise zu verfolgen und sich das Aussehen eines lebenden Gehirnes im Gedächtnis einzuprägen. Alsdann schloß Ptahor die Öffnung mit einer im Feuer geläuterten Silberplatte, die inzwischen nach dem herausgenommenen Knochenstück geformt worden war, und befestigte sie mit kleinen Stiften an der Schädeldecke. Er nähte die Wunde zu, verband sie und sagte: »Weckt den Mann!« Der Patient hatte nämlich schon längst das Bewußtsein verloren.
Der Sklave wurde von seinen Fesseln befreit, man goß ihm Wein durch die Kehle und ließ ihn an starken Arzneien riechen. Nach einer Weile setzte er sich auf und brach in Flüche aus. Es war ein Wunder, an das man nicht hätte glauben können, ohne es selbst erlebt zu haben, denn vor der Schädelbohrung konnte der Mann weder reden noch seine Glieder bewegen. Diesmal aber brauchte ich nicht nach dem »Warum?« zu fragen, denn Ptahor erklärte von selbst, daß das eingedrückte Schädelbein und der Bluterguß ins Gehirn diese Symptome hervorgerufen hätten.
»Wenn er nicht binnen drei Tagen stirbt, kann er als geheilt betrachtet werden«, bemerkte Ptahor, »und nach zwei Wochen kann er bereits den Mann verprügeln, der ihm mit dem Stein den Schädel zertrümmert hatte. Und ich glaube nicht, daß er stirbt.«
Dann dankte er freundlich allen, die ihm behilflich gewesen waren, und nannte dabei auch mich, obwohl ich ihm nur die jeweils benötigten Instrumente gereicht hatte. Ich ahnte ja nicht, in welcher Absicht er mir diese Aufgabe anvertraut hatte. Als er mir seinen Ebenholzschrein übergab, hatte er mich zu seinem Gehilfen im Palast des Pharao ausersehen. Ich hatte ihm nun bei zwei Operationen die Instrumente gereicht, und deshalb war ich ein Sachverständiger, von dem er bei einer Schädelbohrung mehr Nutzen hatte als von den königlichen Ärzten. Doch das verstand ich nicht und geriet daher außer mir vor Staunen, als er sagte:
»Nun dürften wir reif sein, den königlichen Schädel aufzubohren. Bist du bereit, Sinuhe?«
So kam es, daß ich mich in meinem schlichten Ärztemantel in die königliche Sänfte neben Ptahor setzen durfte. Der Blutstiller mußte sich mit einer der Tragstangen als Sitzgelegenheit begnügen. Die Sklaven des Pharao eilten in so ebenmäßigem Lauf zum Kai, daß die Sänfte nicht im geringsten schwankte. Am Ufer erwartete uns das königliche Schiff des Pharao, dessen Ruderer ausgewählte Sklaven waren und in einem Takt ruderten, daß das Schiff mehr über das Wasser zu fliegen als zu gleiten schien. Vor der Landungsbrücke des Pharao wurden wir rasch in das goldene Haus getragen, und ich wunderte mich nicht über diese Eile, denn längs den Straßen Thebens marschierten bereits Soldaten, die Tore wurden geschlossen, und die Kaufleute schleppten ihre Waren in die Lagerhäuser und schlossen Türen und Fensterläden. Aus alldem konnte man erkennen, daß der große Pharao bald sterben werde.
Drittes Buch
IM TAUMEL THEBENS
1
Viele Leute aus dem Volk und auch Vornehme hatten sich vor den Mauern des goldenen Hauses versammelt. Selbst am verbotenen Ufer
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