Sinuhe, Sohn der Sykomore 1
Men-Nefer und Osirisanch von Abdju waren die Wortführer. Mitten in die Debatte platzte dann auch noch der Haremsvorsteher mit der Nachricht, dass eine der Konkubinen des verstorbenen Königs Anzeichen einer Schwangerschaft zeige.« Cheti nahm einen Schluck Wasser, um seine Kehle anzufeuchten. Dann fuhr er fort: »Das änderte natürlich alles. Man einigte sich schließlich darauf, dass die Entscheidung vertagt werden müsse, bis man so oder so Klarheit habe. Und wenn tatsächlich ein Thronfolger zu erwarten ist …«
»Die Beiden Länder so lange ohne Pharao?«, unterbrach Sinuhes Mutter ihren Mann. Auch Sinuhe war erschrocken. Ging das denn?
Cheti lächelte. »Ja, das hat Ptahhotep von Men-Nefer auch gesagt und sich gleich als Regent zur Verfügung gestellt.«
»Ah, eine Regentschaft.« Sinuhe hörte seine Mutter erleichtert aufseufzen.
»Ja. Allerdings muss ich gestehen, dass ich sofort um das Ungeborene zu fürchten begonnen habe, als ich mir den machtgierigen Ptahhotep als Regenten vorstellte. Zum Glück hatten auch andere Einwände, und es kam wieder zum Streit. Letzten Endes haben sich alle Anwesenden auf Amenemhet als Regenten geeinigt, da er als Wesir die Geschicke der Beiden Länder am besten leiten kann.«
Sinuhe zuckte bei der Nennung des Namens Amenemhet zusammen. Sesostris‘ Vater Regent! Wie aufregend!
»Wenn das Kind aber ein Mädchen ist …«, wandte Meret ein.
»Dann wird man weitersehen müssen. Eine Prinzessin kann zwar nicht selbst herrschen, aber sie ist die Trägerin des göttlichen Blutes. Wer sie heiratet, kann sich zum Herrn der Beiden Länder aufschwingen. Doch es würde dauern, bis sie mannbar wäre, und so lange kann das Schwarze Land nicht ohne Herrscher sein. Einer der Großen Ägyptens wird sich des Throns bemächtigen und die Prinzessin später heiraten, um seinen Anspruch zu festigen. Wir sollten beten, dass diese Situation nicht eintritt! Bis das Kind geboren ist, wird Ägypten jedenfalls einen starken und zuverlässigen Regenten haben. Nicht einmal die Gaufürsten konnten etwas gegen Amenemhet sagen – nur Ptahhotep hat geschimpft, dass Amenemhet ein Emporkömmling sei.«
»Kenne ich den Mann – Ptahhotep?«, fragte Meret.
»Nein, ich glaube nicht. Er hält sich zum Glück nur selten in der Residenz auf. Er und Osirisanch sind beide dafür bekannt, nur ihre eigenen Interessen und die ihres Landesteils im Auge zu haben – der eine für Unterägypten, der andere für Oberägypten. Ehrlich gesagt … hätte man einen der beiden zum Regenten gewählt, es hätte zum Bürgerkrieg kommen können. Denn jeder von ihnen hätte als Unterlegener seinen Landesteil gegen den anderen aufgehetzt.«
Sinuhe sog die Luft ein. Was für ein Glück, dass es dazu nicht gekommen war!
»Mit Amenemhet haben wir zumindest eine Hoffnung auf Stabilität, auf die Wahrung der Maat. Mir dreht es noch heute den Magen um, wenn ich an die Unruhen vor Mentuhoteps Thronbesteigung denke«, sagte sein Vater.
Für seinen Vater war wie für die meisten Ägypter, das wusste Sinuhe, die Aufrechterhaltung der Maat das Wichtigste. Sie symbolisierte die gerechte Weltordnung, Stabilität und die Einheit der Zwei Länder. In vielen Titeln und Namen spiegelte sich die Dualität des ägyptischen Landes wider, denn man vollzog mit ihrem Aussprechen oder Niederschreiben stets von Neuem die Vereinigung der beiden Landesteile Ober- und Unterägypten.
»Und was, wenn das Kind ein Junge wird? Wird er dann sofort Pharao?«, fragte Sinuhe. Er versuchte sich vorzustellen, wie ein Säugling auf dem Horusthron saß, die schwere Doppelkrone auf dem Kopf.
Sein Vater lachte. »Nein, das geht natürlich nicht. Welche Entscheidungen sollte ein Kleinkind treffen können? Für diesen Fall wird die Regentschaft von Amenemhet verlängert, bis der königliche Knabe die Mannbarkeit erreicht hat, also dreizehn Überschwemmungen zählt.«
Meret aber warnte: »Vermutlich rechnen einige damit, dass schon bald eine neue Regelung getroffen werden muss, falls das Kind ein Mädchen ist – oder die Schwangerschaft unglücklich verläuft.«
»Dann wäre Amenemhets Regentschaft beendet. Es müsste eine neue Wahl getroffen werden. Und diese Zeit werden die Konkurrenten nutzen, um ihre Position zu stärken. So, wie ich meinen Freund Amenemhet kenne, hat er dafür bereits Vorsorge getroffen. Fürs Erste ist die Gefahr gebannt, aber noch ist die Zeit zum Aufatmen nicht gekommen. Die nächsten Monde werden kritisch«, antwortete Cheti.
2
Weitere Kostenlose Bücher