Sir Rogers himmlischer Kreuzzug
Möglichkeiten zurückgeblieben, hat sich mit Konfektionsware begnügt. Das ist der eine Anderson. Aber es gibt noch einen zweiten Anderson, einen Anderson, der großartige Kurzgeschichten wie Call Me Joe (Nennt mich Joe) oder The Man Who Came Early (Der Mann, der zu früh kam) geschrieben hat, der gemeinsam mit Gordon R. Dickson die lustigen Geschichten über die Hokas – pelzige Außerirdische, die irdische Literatur und Metaphern wortwörtlich nehmen – veröffentlichte, der mit Brain Wave, seinem ersten Roman für Erwachsene, ein Werk verfaßte, das mich beim ersten Lesen faszinierte und inzwischen nichts von dieser Faszination verloren hat. {1}
Auch die Fantasy als eigenständige Literaturform in der Nähe der Science Fiction hat schon früh Anziehungskraft auf Poul Anderson ausgeübt. Zwar haben mich persönlich weder die Holger-Danske-Romane noch The Broken Sword (Das gebrochene Schwert) in den Bann gezogen, aber man muß zugestehen, daß der traditionsbewußte Anderson, der das Erbe seiner dänischen Vorfahren in die amerikanische Fantasy einbrachte, eine Alternative zu den sonst tonangebenden schwertschwingenden Barbaren bot.
Eigenständiger noch der Roman Kinder des Wassermanns (The Merman’s Children) {2} , der im Ganzen sehr europäisch wirkt und auf den reichen Schatz europäischer Sagen-, Märchen- und Legendentradition verweist, der zum größten Teil noch ungehoben ist oder von amerikanischen Autoren – die sich hier gern bedienen – recht oberflächlich aufgegriffen wurde. Überzeugend wird eine abendländische Welt dargestellt, die von der noch ungebrochenen geistlichen Macht der Kirche – die sich anschickt, die letzten noch übersehenen Winkel Europas zu christianisieren – und der nicht minder kraftvollen Handelsmacht der Hanse geprägt wird. Dieses Spannungsfeld ist nicht Thema des Romans, aber es ist präsent im täglichen Leben der meist einfachen Leute, die Anderson hier in den Mittelpunkt rückt: der unerfahrene junge Seemann Niels, die Prostituierte Ingeborg und all die anderen. Es ist ein reiches Buch mit vielen hübschen Einfällen und fesselnden Charakteren – man denke an den Wer-Seehund Hauau, an Vater Tomislav und die Vilja, die einst seine Tochter war, an die Freundlichkeit, die den Heimatlosen von den Inuit oder den Delphinen entgegengebracht wird, an den vom Riesenkraken bewachten versunkenen Schatz oder den untoten Tupilak …
Dies alles bekommt den großen Atem, verdichtet sich zu einer weitgespannten Saga durch das im Zentrum des Ganzen stehende Geschick des heimatlos gewordenen Seevolks von Liri. Hier offenbart Anderson eine Sensibilität und einen Hang zur Tragödie, wie beides zuvor nur in seinen besten Kurzgeschichten und vielleicht in dem Roman The Dancer front Atlantis (Die Tänzerin von Atlantis) sichtbar wurde.
Der hier vorliegende Roman The High Crusade gehört neben den oben skizzierten Werken ebenfalls zu den besten Titeln Andersons. Trotz der relativ kriegerisch-blutigen Handlung gelingt es dem Autor, die Handlung mit einigem Witz und Ironie in Szene zu setzen. Ein wenig werden hier Amerikas Vietnamkriegserfahrungen vorausgenommen, wenn Sir Roger und seine Mannen hoch zu Roß mit Schwert, Pfeil und Bogen über modernste Waffentechnik triumphieren: Ein entschlossener und motivierter Gegner ist mit Technik allein nicht niederzuhalten. Dem Roman tut wirklich gut, daß er als nicht sehr ernst gemeintes SF-Märchen konzipiert wurde. An dieser Konzeption prallen die meisten logischen und sonstigen Einwände ab.
Hans Joachim Alpers
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