«Sire, ich eile …»: Voltaire bei Friedrich II. Eine Novelle (German Edition)
Braunschweig fahren, denn er ist rein närrisch nach den Höfen … 12 Tage braucht er von Berlin nach dem Haag, und hin ist er in 9 gekommen … 2 Wochen ist er in Bayreuth geblieben … Weitere 14 Tage verbrachte er nach seiner Rückkehr in Berlin; ganze 3 Wochen hat er mir nicht geschrieben, und seit 2 Monaten höre ich von seinen Plänen und Schriften nur durch die Botschafter und Zeitungen … Nun können Sie wohl verstehen, wie sehr ich zu beklagen bin …»
Am 6. November langte Voltaire in Brüssel an.
Émilie freute sich darüber, daß seine Bemühungen in Preußen gescheitert waren.
Am 9. November machten sie sich auf den Weg nach Paris. Unterwegs, in Lille, besuchten sie Voltaires Nichte Marie Louise, eine Tochter seiner Schwester Catherine Mignot; Marie Louise war seit 1737 mit Nicolas-Charles Denis verheiratet.
In Paris wurde Voltaire enttäuscht. Er hatte gehofft, von Ludwig XV. empfangen und für seine Dienste belohnt zu werden, womöglich mit einer Pension. Aber das Ministerium unter Amelot ließ ihn wissen, daß man auch ohne seinen Bericht längst informiert sei: Friedrich denke nicht daran, mit Frankreich eine Allianz zu schließen.
Friedrich hatte Voltaires Bitte, ihm eine günstige Botschaft für Ludwig XV. mitzugeben, mit dem Satz beschieden:
«Die einzige Botschaft, die ich Ihnen für Frankreich geben kann, ist die, sich klüger zu verhalten.»
16.
Monsieur Denis, der Mann von Voltaires Nichte Louise, war im April 1744 gestorben. Seit Denis’ Tod hatte sich Voltaire heimlich seiner Nichte zugewandt. Sogar hatte er ihr in Paris ein Haus gekauft.
Obwohl Émilie Grund hatte, Mißtrauen gegen Voltaire zu hegen, mißtraute sie ihm nicht. Aber von Jahr zu Jahr stärker nahm sie wahr, daß sich ihre Beziehung zu Voltaire wandelte.
Dennoch – sie blieben zusammen. Sie arbeiteten miteinander, sie stritten sich, sie lebten in Cirey das gewohnte Leben.
Émilie war eine leidenschaftliche Kartenspielerin. Bei Hofe spielte sie um hohe Summen und verlor oft.
Voltaire mußte ihre Spielschulden bezahlen. Es ärgerte ihn, sinnlos Geld auszugeben.
Émilie schwor sich, vorsichtiger zu sein. Doch ihre Leidenschaft riß sie fort.
Am 14. Oktober 1747 weilten Voltaire und Émilie im Schloß Fontainebleau.
Émilie saß mit der französischen Königin, Marie Leszczyńska, und zwei Herzoginnen am Spieltisch.
Voltaire stand in der Nähe und beobachtete das Spiel. Er sah, daß Émilie verlor und verlor. Er sah, daß sie von den Mitspielerinnen betrogen wurde. Sie hatte schon 100 000 Livres verloren.
Voltaire beugte sich zu Émilie nieder und flüsterte ihr auf englisch zu:
«Hören Sie auf! Wissen Sie nicht, daß Sie mit Betrügerinnen spielen?»
Émilie erschrak. Hatte die Königin, hatten die Herzoginnen Voltaire verstanden?
Auch Voltaire war es auf der Stelle bewußt, daß er sich in schwere Gefahr gebracht hatte. Er sah, daß etliche Umstehende miteinander flüsterten.
Die Königin und die Herzoginnen bewahrten Haltung.
Émilie gab vor, sie fühle sich unpäßlich, und mit Erlaubnis der Königin verabschiedete sie sich. Geistesgegenwärtig sagte sie noch:
«Wir werden Monsieur Richelieu bitten, uns für diese Nacht aufzunehmen.»
Das Schloß des Herzogs von Richelieu lag in der Nähe von Fontainebleau.
Émilie faßte Voltaire am Arm und zog ihn aus dem Saal.
«Wir müssen sofort verschwinden! Wenn die Königin dich verstanden hat, kann die Wache dich jeden Moment arretieren.»
Voltaire geriet in Panik. Er hatte die Königin von Frankreich tödlich beleidigt. Die Rache des Hofes konnte furchtbar sein. Mißhandlungen. Jahre in der Bastille.
Émilie rief eine Mietkutsche herbei. Dem Kutscher sagte sie:
«Nach Paris! Schnell, schnell!»
Mitten in der Nacht, in Essonnes, brach die Kutsche. Die Reparatur dauerte.
Émilie hatte sich unterdessen gefaßt.
Sie sagte:
«Du darfst nicht nach Paris. Und nach Cirey darfst du auch nicht. Du brauchst ein sicheres Versteck.»
Voltaire hatte die rettende Idee:
«Ich gehe nach Sceaux, zur Herzogin von Maine.»
Die Herzogin von Maine, Anne-Louise de Bourbon-Condé, Witwe des Herzogs von Maine, eines illegitimen Sohnes von Ludwig XIV., war eine Verehrerin und Freundin Voltaires.
Nach kurzer Nachtruhe in einem Gasthof an der Straße fuhr Émilie weiter nach Paris, Voltaire nahm eine andere Kutsche und fuhr nach Sceaux.
Am frühen Morgen kam er am Schloß an.
Er sagte zur Herzogin:
«Madame, verzeihen
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