«Sire, ich eile …»: Voltaire bei Friedrich II. Eine Novelle (German Edition)
Châtelet ist noch nicht niedergekommen; es macht ihr mehr zu schaffen, ein Kind auf die Welt zu bringen als ein Buch.»
Die Übersetzung von Newtons Principia Mathematica hatte sie inzwischen abgeschlossen.
18.
Am 4. September 1749 brachte Émilie ein Mädchen zur Welt.
Am 10. September verlor Émilie das Bewußtsein und starb.
Der Marquis du Châtelet, Voltaire und Saint-Lambert waren zugegen.
Voltaire, erschüttert, verließ das Schloß, stolperte, stürzte auf das Pflaster. Saint-Lambert, der ihm gefolgt war, wollte ihm aufhelfen.
Voltaire schrie ihn an:
«Sie haben sie umgebracht!»
Bald nach Émilies Tod starb das Kind.
Voltaire kehrte nach Cirey zurück. Dort half ihm der Marquis du Châtelet, Manuskripte, Bücher, Bilder und Möbel zu packen. Eine Wagenkolonne machte sich auf den Weg nach Paris.
Voltaire richtete sich in der Rue Traversière Saint-Honoré ein.
Seine Nichte, die junge Witwe Louise Denis, zog Weihnachten zu ihm.
ZWEITER TEIL
1.
1750. Voltaire war als Historiograph und Kammerjunker an den Versailler Hof gebunden. Er suchte bei Hofe um Urlaub nach. Ludwig XV. entließ ihn.
Seine Nichte Louise Denis sollte alle Wechsel verkaufen und ihm nach Preußen folgen. Sie weigerte sich.
Nach Preußen?
Nein!
An den preußischen Hof?
Nein und abermals nein!
Friedrich war übrigens nicht im geringsten daran interessiert, diese Nichte zu sehen.
In Paris ließ Louise Denis verlauten: «Mein Onkel ist nicht dazu geschaffen, mit Königen zu leben. Sein Charakter ist zu lebhaft, zu inkonsequent, zu eigenwillig.»
Bevor Voltaire Paris verließ, erbat er von Friedrich einen Vorschuß.
«… ich kann mir weder einen guten Reisewagen leisten noch eine … Begleitperson, noch kann ich meinen Haushalt während meiner Abwesenheit versorgen, wenn ich nicht wenigstens viertausend deutsche Taler aufbringe.»
Voltaire brauchte den Vorschuß natürlich nicht, aber konnte Friedrich die Zahlung verweigern?
Der Bankier Splittgerber erhielt Ordre, Monsieur Voltaire 16 000 Livres de France nach Paris zu überweisen.
An den Regierungspräsidenten von Kleve, Herrn von Raesfeld, schrieb Voltaire, er werde Anfang Juli in den klevischen Provinzen eintreffen.
Am 25. Juni trat Voltaire die Reise nach Potsdam an. Drei Tage brauchte er bis Compiègne, das achtzig Kilometer nördlich von Paris liegt.
Aus Kleve schrieb Voltaire an Friedrich, sein Wagen sei zu Bruch gegangen und er sei krank. Am 5. Juli reise er aus Kleve ab.
«Sire, ich eile, ich werde kommen, tot oder lebendig.»
Er bat Friedrich, dem Kommandanten von Lippstadt in Westfalen Ordre für einen Vorspann zu geben; es sei für einen kranken Franzosen, der nur französische Bedienstete habe, schrecklich, mit der Post durch Deutschland zu reisen.
Aus Halberstadt schrieb Voltaire, er harre des Glückes, Halberstadt verlassen zu dürfen.
Endlich, nach strapaziösen Tagen, kam Voltaire am 10. Juli in Potsdam an.
Im Potsdamer Stadtschloß sagte man ihm: «Sie wohnen in der Nähe der königlichen Gemächer. Auch im Schloß zu Berlin.»
Friedrich hatte den Krieg gegen Émilie du Châtelet, den Kampf um Voltaire gewonnen. Voltaire war jetzt bei ihm. Voltaire hatte sich in seine Hand begeben.
Voltaire – besitzen!
Schlesien – besitzen!
Sogar als Sieger über Ludwig XV. mochte Friedrich sich fühlen; er hatte dessen Hofhistoriographen und Kammerjunker für sich gewonnen.
Dabei war es Ludwig XV. leichtgefallen, Voltaire zu verabschieden.
«Ein Verrückter weniger an meinem Hof und einer mehr am Hofe Friedrichs», hatte er zu einigen Vertrauten gesagt.
2.
Friedrich gab Voltaire alles nur Mögliche, um ihn zu fesseln und ihm die Niederlage zu versüßen: Er ernannte ihn zu seinem Kammerherrn, verlieh ihm den Orden Pour le mérite, gewährte ihm ein Jahresgehalt von 20 000 Livres, bot ihm freie Wohnung, freie Tafel und eine eigene Equipage. Sogar sagte er Voltaires Nichte Louise Denis, die er gar nicht zu sehen wünschte, eine jährliche Rente von 4000 Livres für den Fall zu, daß sie Voltaires Haushalt in Preußen führe.
An Louise Denis schrieb Voltaire im Oktober:
«Mein Geschäft ist, nichts zu tun. Ich genieße meiner Muße. Eine Stunde des Tages widme ich mich dem König, um seine Werke in Prosa und Versen ein wenig abzurunden; ich bin sein Grammatiker, nicht sein Kammerherr. Den Rest des Tages habe ich für mich, und der Abend schließt mit einem angenehmen
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