Sirup: Roman (German Edition)
dich da drüben umziehen«, sagt 6 und zeigt auf eine etwas wacklige Holztür. »Es gibt dort auch eine Dusche.«
»Okay.« Ich stürme mit meinem neuen Anzug über dem Arm durch die Tür. Unterwegs wird mir plötzlich klar, wieso das Büro eine Dusche hat: Es ist nämlich gar kein Büro, sondern ein winziges Haus. Nach hinten raus gibt es vier Räume, und ich würde mein schwächelndes Kreditkartenkonto darauf verwetten, daß einer davon 6s Schlafzimmer ist. Ich drehe mich um und will sie gerade fragen, doch sie kommt mir hellseherisch zuvor.
»Ja und?« sagt sie aggressiv.
»Kein Problem«, sage ich und schließe die Tür.
straße der erinnerung
Da keiner von uns einen Wagen hat, lasse ich mich widerwillig auf eine Wiederbegegnung mit dem LA-Bus-System ein. Unsere Route führt sogar an Tinas und 6s vormaliger Wohnung vorbei, und ohne weiter nachzudenken, sehe ich sie an und sage: »Das waren noch Zeiten, damals, was?«
6 dreht langsam den Kopf in meine Richtung, und noch bevor ich ihr Gesicht richtig sehen kann, weiß ich schon, daß gleich wieder einer ihrer tödlichen Blicke fällig ist.
»Vergiß es«, sage ich rasch.
das projekt
Ich beobachte 6 ganz genau, als wir in die Halle treten. Sie macht auf total cool, und in den Augen eines zufälligen Beobachters mag es ja so erscheinen, als ob ihr die Rückkehr an ihre alte Wirkungsstätte gar nichts ausmacht. Doch ich bin ein zufälliger Beobachter. Ich bin ein hochmotivierter Vollzeitbeobachter, und ich finde, daß 6 ein bißchen ängstlich wirkt.
»Scat und 6«, sage ich zu der Empfangsdame, um 6 diese Mühe zu ersparen. »Wir haben einen Termin bei Gary Brennan.«
Die Empfangsdame (wahrscheinlich dieselbe Person wie früher, vielleicht aber auch nur eine andere nichtssagend gutaussehende Frau) gibt mir zwei Besucherausweise. Mit der mir eigenen Weltgewandtheit klemme ich das Kärtchen an meinen Schlips, doch 6 starrt ihres nur kurz haßerfüllt an und steckt es dann in die Tasche.
Wenige Minuten später stürzt Gray breit lächelnd aus einem der Aufzüge und streckt mir die Hand entgegen. »Scat! Großartig, daß Sie hier sind.« Er drückt mir dreimal kurz die Hand. Dann sieht er 6. Im ersten Augenblick rutscht sein Lächeln bauchwärts. Dann ist er wieder der alte Strahlemann und lächelt, als ob 6s Anwesenheit das Tollste sei, was er je erlebt hat. »6! Sie hatte ich allerdings nicht erwartet.«
»Ist das ein Problem, Gary?« sagt 6.
»Natürlich nicht«, sagt er und schüttelt ihr kräftig die Hand. »Schön, Sie wieder hierzuhaben, 6.« Er richtet sich auf. »Ein Besprechungszimmer ist schon reserviert.«
Er führt uns durch einen kurzen Korridor in einen wahrhaft gigantischen Raum. Ich sehe, wie 6s Augenbrauen blitzschnell nach oben schießen, und schließe daraus, daß Gary sich für uns mächtig ins Zeug legt.
»Bitte, setzen Sie sich doch«, sagt er und läßt sich in einen der Ledersessel fallen. Ich tue es ihm gleich und beschließe auf der Stelle, mich aus diesem Sessel nie mehr zu erheben. »Oder möchten Sie vielleicht einen Kaffee?« Er richtet seinen Oberkörper auf und ist schon wieder auf den Beinen. »Ich brauch bloß Bescheid zu geben.«
»Hmm«, sage ich und überlege, ob es klug ist, einen potentiellen Arbeitgeber zum Kaffeeholen zu schicken. Ich entscheide mich für meinen Durst. »Okay.«
Gary bleibt stehen. »Scat, wenn Sie für Coca-Cola arbeiten wollen, sollten Sie dieses Wort nie wieder in den Mund nehmen.«
»Welches Wort? Okay ?«
» Okay ist das bekannteste Wort der englischen Sprache. Nummer zwei ist Coke . Wir wollen auf den ersten Platz. Verstanden?«
»Verstanden«, sage ich und kann gerade noch ein peinliches Okay herunterschlucken.
»Sie müssen diese Dinge wissen, denn wie es aussieht, werden Sie in die Coke-Historie, das heißt in die Weltgeschichte, eingehen. Verstehen Sie?«
6 beugt sich in ihrem Sessel nach vorne. »Gary, machen wir’s kurz, okay? Ich kenn Sie zu gut, um ihnen dieses Spielchen abzunehmen. Also, was haben Sie auf dem Herzen?«
Gary verstummt einen Augenblick, sein Lächeln verschwindet. »Also gut«, sagt er dann leise und beugt sich nach vorne. Automatisch tue ich das gleiche. Plötzlich fällt mir ein, daß Gary mit seiner überjovialen Eröffnungsszene vielleicht ganz bewußt diese Situation herbeigeführt hat.
»Einen Teil der Geschichte kennen Sie ja schon. Wir planen eines der größten Marketingprojekte der Geschichte. Wir machen da etwas, was es bisher noch nie gegeben
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