Sirup: Roman (German Edition)
brauchst, dann kann ich auch darauf verzichten, deine Wirklichkeit zu sein.«
Es dauert eine Weile, bis ich im Bilde bin. »Das heißt also, du willst Schluß machen?«
»Ja, wieso nicht? Damit du mich vorher entsorgen kannst?«
»Cindy«, sage ich irritiert. »Ich entsorge überhaupt niemanden.«
»Gut, dann geb ich dir eben den Laufpaß«, sagt Cindy. »Verschwinde aus meiner Wohnung.«
Ich pralle gegen den Türrahmen. »Was…?«
»Hast du mich nicht verstanden!« brüllt sie.
»Cindy, die Wohnung gehört dir ja nicht mal allein. Ich bin schließlich auch daran beteiligt.«
»Mit fünfzehn Prozent«, sagt Cindy verächtlich. »Und deine beschissene Provision. Das Geld hab doch in Wirklichkeit ich verdient.«
Ich stehe mit offenem Mund da.
»Verpiß dich endlich!« schreit sie. »Ich dachte, du magst es, wenn Mädchen dich schlecht behandeln!«
Plötzlich begreife ich, was los ist. »Oh… jetzt versteh ich.«
»Was?«
»Genial. Dein Schauspielunterricht hat wirklich was gebracht.«
Cindys Augen werden ganz groß. »Du glaubst, daß ich das alles nur spiele ?«
Ich hebe die Hände. »Na gut, du hast gewonnen. Können wir jetzt bitte im Bett weiterreden? Ich bin völlig fertig. Immerhin bin ich den ganzen Weg…«
Cindy hebt vom Sofa ab wie ein Marschflugkörper.
»Was ist denn jetzt…?«
Mit dem ganzen Potential, das sie in acht Monaten Krafttraining aufgebaut hat, verpaßt sie mir einen Kinnhaken und schmeißt mich aus der Wohnung. Noch bevor ich mich wieder aufrappeln kann, knallt sie die Tür mit solcher Wucht zu, daß das ganze Treppenhaus erschaudert.
Ich betrachte lange die geschlossene Tür. Dann stehe ich langsam auf und bemerke erst jetzt, daß mich ein alter Mann auf der anderen Seite des Treppenhauses durch seine halbgeöffnete Tür beobachtet.
»Ich glaube nicht, daß sie nur gespielt hat«, verkündet er. Er schaut auf Cindys geschlossene Tür und dann wieder auf mich. »Ich glaube ganz und gar nicht, daß sie nur gespielt hat.«
wieder in der gosse
Diesmal wirft Cindy mir nicht mal meine Sachen hinterher.
neue pläne
Die Nacht verbringe ich auf der Treppe in Cindys Mietshaus.
Ich bin so kaputt, daß ich am nächsten Morgen erst um neun Uhr aufwache, als eine alte Frau auf meine Hand tritt. Aus purem Reflex fasse ich sie beinahe am Bein und bringe sie zu Fall. Als sie mir dann noch einen verächtlichen Blick zuwirft und sich nicht mal entschuldigt, würde ich es am liebsten absichtlich tun.
Ich dehne und strecke meine steifen Glieder und gehe dann die Treppe hinauf zu Cindys Wohnung. Dort atme ich tief durch und läute. Noch immer bin ich mir nicht ganz im klaren, ob Cindy es letzte Nacht wirklich ernst gemeint hat – oder, was noch wichtiger ist, wie ernst sie es heute morgen meint. Doch es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.
Es dauert eine ganze Weile, bis Cindy reagiert, und als sie schließlich erscheint, trägt sie nur einen dünnen Morgenmantel. »Guten Morgen.«
»Morgen«, sag ich ziemlich froh über diese Art der Gesprächseröffnung. Eigentlich hatte ich erwartet, daß ich mich durch die geschlossene Tür mit ihr würde auseinandersetzen müssen. »Cindy, tut mir wirklich leid wegen gestern abend…«
»Und auf Wiedersehen«, flötet sie und macht mir ganz ruhig die Tür vor der Nase zu. Ich starre ungläubig auf das Holz, doch was ich sehe, ist trotzdem eine geschlossene Tür.
Mir scheint, daß Cindy es wirklich ernst meint.
kontemplation
Natürlich wäre es völlig falsch, 6 anzurufen.
Erstens wäre es falsch, weil Cindy mir prophezeit hat, daß ich 6 anrufe und dann bei ihr einziehe. Und sollten sich ihre Voraussagen in diesem Punkt bewahrheiten, dann könnte sich schnell zeigen, daß sie auch mit ihren anderen Theorien ziemlich richtig liegt.
Zweitens habe ich 6 gerade erst wiedergesehen. Wenn ich sie jetzt anrufe, wird sie vermutlich glauben, daß ich das immer so mache. Mag sein, daß das Image des verzweifelten Obdachlosen kurzfristig einen gewissen Charme hat, doch auf Dauer dürfte es sich als eher kontraproduktiv erweisen. Denn so gnadenlos attraktive und unabhängige Frauen wie 6 haben mit verzweifelten obdachlosen Typen grundsätzlich eher wenig im Sinn. Ja, ich bin sogar ziemlich sicher, daß faszinierende, unvorstellbar attraktive, deprimierend schöne Frauen wie 6…
Ich rufe 6 an.
konvergenzen
Sie ist sofort selbst am Telefon, was mich in meinem Verdacht bestärkt, daß es sich bei ihrem Consultingunternehmen um einen
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