Sirup: Roman (German Edition)
Coca-Cola für ein Spaßprodukt halten, Sir. Ich persönlich glaube nicht, daß dieser Film uns in dieser Hinsicht weiterhilft.«
Drei Dutzend Gesichter starren mich wie versteinert an. Eigentlich hatte ich gehofft, daß wenigstens ein oder zwei Köpfe nicken. »Es fehlt aber noch etwas viel Entscheidenderes«, sage ich und unterdrücke das Zittern in meiner Stimme, »und zwar die richtigen Identifikationsangebote. Keine der Figuren in dem Film ist wirklich sympathisch. Die einzige Ausnahme ist vielleicht Winona Ryders Außerirdische, doch darauf kann ich jetzt nicht näher eingehen. Wichtig ist dieser Einwand deshalb, Sir, weil der Film doch gerade zur Identifikation einladen soll. Würde es uns lediglich darum gehen, ein paar Leute zu zeigen, die Coca-Cola trinken, dann könnten wir genausogut einen Dreißigsekundenspot machen. Doch in diesem Film geht es doch vor allem um Figuren, in denen die Leute Idole sehen. Und genau das leistet der Film nicht.«
Der Vorsitzende des Aufsichtsrats starrt mich wortlos an, und ich gerate schon in Panik. Wenn er jetzt sagt: Nein, das habe ich nicht gemeint, dann bin ich total aufgeschmissen. Deshalb schiebe ich noch zaghaft nach. »Ist es das, was Sie meinen, Sir?«
Die Stille ist schier unerträglich. Dann sieht der Vorsitzende mich an. »Ganz genau.«
die kavallerie
In dem Raum herrscht ein konsterniertes Schweigen. Die Männer, die noch kurz zuvor Lobeshymnen auf den Film gesungen haben, werden den Vorstandsvorsitzenden künftig mit anderen Augen sehen – soviel ist klar. Dann meldet sich Sneaky Pete zu Wort. Er spricht leise und auffallend aggressiv. Ja, ich hab fast den Eindruck, daß er gleich handgreiflich wird.
»Mr. Scat«, sagt er, und seine Wut ist mit Händen zu greifen. »Ich weiß Ihre Vorschläge zu schätzen. Allerdings gefällt mir die Art und Weise nicht, wie Sie Ihre Kritik hier vorgetragen haben. Natürlich werden wir den von Ihnen angesprochenen Gesichtspunkten künftig unsere besondere Aufmerksamkeit widmen – was freilich erheblich schwieriger ist, als hier vor diesem Auditorium einen kleinen Vortrag über ›Identifikationsangebote‹ zu halten. Denn in der Praxis ist es ungemein kompliziert, solche theoretischen Forderungen in Bilder umzusetzen.«
Hinter Sneaky Pete öffnet sich jetzt einen Spaltbreit die Eingangstür, was ihm jedoch entgeht. Plötzlich hab ich eine Eingebung – ja, eine so großartige Idee, daß Fanfarenstöße meinen Kopf erfüllen. »Entschuldigen Sie bitte, aber ich wüßte nicht, warum.«
Er braucht eine Sekunde, um die erste Antwort, die ihm einfällt, zu verschlucken. »Diese Äußerung beweist nur, daß Sie noch nie einen Film gemacht haben. Oder können Sie uns etwa demonstrieren , wie solche zur Identifizierung einladende Figuren funktionieren?«
Ich lege eine kleine Pause ein und lächle 6 an, die mit einer Filmdose auf dem Arm leicht verunsichert neben der Tür steht. »Na klar«, sag ich, »natürlich kann ich das.«
sneaky pete wird vorgeführt
Im ersten Augenblick glaub ich ehrlich, daß er eine Schlägerei anfängt. Doch, echt.
identifikation
6 überreicht die Filmrolle einem Menschen von der Technik, und die Versammlung gönnt sich – während der Projektor wieder aufgebaut wird – eine zehnminütige Pause. Plötzlich wollen alle möglichen Leute mit mir sprechen. Deshalb verzieh ich mich mit 6 an den einzigen sicheren Ort: die Damentoilette.
»Und – ist das Ding gut?« Ich kaue verzweifelt auf einem Fingernagel herum. »Sag schon, wie ist der Film?«
»Ziemlich gut«, sagt 6 zerstreut. »Und wie war Sneaky Petes Film?«
»Absolut fantastisch«, sage ich und berichte ihr kurz, was passiert ist. Als ich fertig bin, leuchten ihre Augen.
»Identifizierungsangebote, Idole«, murmelt sie. »Ausgezeichnet.«
»Und – gibt es in unserm Film solche Identifizierungsangebote? Wär natürlich total blamabel, wenn das nicht der Fall ist.«
6 überlegt. »Ja«, sagt sie nachdenklich. »Ja, ich glaub schon.«
die vorführung
Unser Rohschnitt ist nur sechs Minuten lang, doch mir kommt es vor wie eine Stunde. Ich sitze mit 6 ganz hinten, und am Ende der Vorstellung ist von meinen Fingernägeln kaum noch etwas übrig. Tröstlich finde ich nur, daß es Sneaky Pete nicht besserzugehen scheint.
Tina hat erstklassige Arbeit geleistet. Technisch reicht ihr Opus natürlich an Backlash bei weitem nicht heran. Aber als Cindy den Creative Director der Werbeagentur auf der Herrentoilette in die Mangel nimmt, bricht
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