SISSI - Die Vampirjägerin
keine Schule besucht hatte. Das Kreuz, das sie um den Hals trug, blitzte in der Sonne. »Und sagt’s eahm, in da Bibel kriagt a koana a Telegramm.«
Sissi wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, also lächelte sie nur. Bevor sie sich abwenden konnte, machte Frau Huber einen Schritt auf sie zu. Erstaunlich schnell streckte sie die Hand aus. Sissi hob instinktiv den Arm, als wolle sie einen Schlag abwehren, ließ ihn jedoch wieder sinken, bevor die alte Frau etwas merkte.
Frau Huber tätschelte ihr mit rauen, groben Fingern die Wange. »Bist a guat’s Kind, Prinzessin. Lass dir von koanam net wos anders sag’n.«
Sissi runzelte die Stirn. »Wer sagt denn was anderes?«, fragte sie, aber Frau Huber winkte nur ab und machte sich daran, weiter den Hof zu fegen. Sissi wollte nachhaken, aber eine hell flötende Stimme unterbrach sie.
»Sissi? Sissi, da bist du ja. Schau doch nur, was die Mutter hat kommen lassen.«
Sie drehte sich um. Helene, ihre ältere Schwester, stand auf dem Treppenabsatz vor der Eingangstür und drehte sich im Kreis. Das Kleid, das sie trug, bauschte sich im Wind. Es hatte die Farbe einer Aprikose und war mit Rüschen besetzt. Helene lachte bei jeder Drehung.
»Oh Néné!«, zwitscherte Sissi zurück. »Wie wundervoll du darin aussiehst. Ich freue mich ja so für dich!«
Frau Huber lächelte, nickte und wollte gerade etwas sagen, doch Sissi kam ihr hastig zuvor: »Das sollten wir gleich dem Va… dem Papili zeigen. Ist er im Haus?«
Helene unterbrach abrupt ihre Drehung, stolperte und musste sich an einem Balken festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Nein, wieso?«, fragte sie zurück. Auf Sissis warnenden Blick räusperte sie sich und flötete: »Der Vater ist mit den Buben zum See gegangen. Er wollte nachschauen, ob die Fische heute beißen.«
Sissi lachte gekünstelt. »Sie beißen doch nie, wenn die Buben dabei sind.«
Scheinbar aufgeregt klatschte Néné in die Hände. »Dann wird er sich umso mehr freuen, wenn wir ihn besuchen. Komm, lass uns gleich loslaufen, bevor die Mutter mir verbietet, das Kleid anzubehalten.«
Sie sprang die breite, geschwungene Steintreppe hinunter, ergriff Sissis Hand und zog sie auf den Weg zu, der am Haus vorbei hinunter zum See führte.
»Wos is der Herr Herzog doch g’segnet, dass er a solcherde Familie hod«, hörte Sissi Frau Huber noch sagen, dann ließen sie den Hof hinter sich.
»Was ist passiert?«, fragte Helene, aber Sissi schüttelte nur den Kopf.
»Ich weiß es nicht. Das Telegramm ist an Vater gerichtet.« Sissi zog ihre Jacke enger um den Körper. Der Winter war mild, der Schnee fast geschmolzen. Trotzdem war ihr kalt. »Es stammt vom Cousin aus Wien«, fügte sie nach einem Moment hinzu.
Helene schwieg, raffte ihr Kleid zusammen und ging schneller. Sissi folgte ihr den steilen Weg hinunter. An seinem Ende lag ein Steg, der auf den See hinausführte. Das Wasser glitzerte in der Wintersonne. Eisschollen trieben träge dahin. Dazwischen ankerten Boote mit ausgeworfenen Netzen. Der Wind trug vereinzelte Worte zu Sissi herauf. Die Fischer sprachen übers Wetter, den Fang und die kleinen Skandale im Dorf.
»Da ist er«, sagte Helene. Sie zeigte auf einen kleinen Schuppen neben dem Steg.
Herzog Max Joseph saß auf einem Schemel vor der offenen Tür, die Buben standen aufgereiht wie Soldaten vor ihm. Er trug einen langen Wollmantel, aber keinen Hut. Sein Gesicht war rund und gütig, eher das eines Mönchs als eines Feldherrn. Er winkte, als er seine Töchter sah.
Helene winkte zurück. »Er sollte nicht mit ihnen allein sein«, sagte sie. »Das ist zu gefährlich.«
»Ach was.« Sissi sprang über eine Baumwurzel. »Wenn etwas mit ihnen nicht stimmen würde, hätte sich das schon längst gezeigt.«
»Das weißt du nicht.« Helene stieg vorsichtig über die Wurzel. »Niemand weiß es.«
Sissi ging nicht darauf ein. So wie Frau Huber den ganzen Tag den Hof fegte, schienen ihre Schwester und ihre Mutter den ganzen Tag lang nichts anderes zu tun, als sich Sorgen zu machen. Ihr Vater zog sie deswegen oft auf. Zu Recht, wie Sissi fand.
Ein wenig außer Atem blieb sie vor dem Schuppen stehen.
Die Buben begrüßten sie höflich, zogen sich aber nach einer knappen Geste des Herzogs zum Steg zurück. Dort konnten die Fischer auf den Booten sie sehen, also begannen sie zu spielen und zu lachen, als seien sie ganz normale Kinder.
»Was ist geschehen?«, fragte Herzog Max.
Sissi zog das Telegramm aus ihrer Westentasche. »Es
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