SISSI - Die Vampirjägerin
auf die Menschen alt wirken musste. Dabei war sie es durchaus – nur wie alt genau, das wusste niemand. Selbst Karl und Ferdinand, die seit dem zweiten Kreuzzug mit ihr zusammen waren, hatte sie das nie verraten.
»Ist es naiv«, fragte er nach einem Moment, »anzunehmen, dass die, die zum Dienen geboren wurden, genau das tun sollten?«
»Sehr naiv«, antwortete Karl an Sophies Stelle. Er wirkte etwas älter als sie; ein großer, eleganter Mann mit angegrauten Schläfen und distinguiertem Auftreten. Für die Menschen war Erzherzog Franz Karl bereits seit Jahren tot.
Karl lehnte sich zurück, ohne eine seiner Schachfiguren zu bewegen. Er spielte oft gegen Sophie, hatte aber noch nie gewonnen. Nach dem Anblick, den das Brett bot, würde sich das auch in dieser Nacht nicht ändern.
»Selbst im Mittelalter«, sagte er, »sind wir immer wieder angegriffen worden. Dabei hatten wir die Inquisition auf unserer Seite.«
Das Schmatzen im Hintergrund verstummte. »Und die Pest«, erklärte jemand aufgekratzt.
Sophies Lächeln war so schmal, dass es aussah, als habe man ihr eine Rasierklinge durchs Gesicht gezogen. »Das waren gute Zeiten.« Zum ersten Mal sah sie Franz-Josef an. Ihre Augen waren fast schwarz. »Nächtelang haben wir getrunken.«
»Sie hat London fast allein entvölkert«, meinte Karl. Es klang liebevoll.
»Na, bravo!«, rief die Stimme zwischen den Kissen.
Das Lächeln verschwand aus Sophies Gesicht. »Warum sagt er das nur immerzu?«, fragte sie leise.
Franz-Josef antwortete nicht. Sie alle kannten den Grund, auch wenn sie nie darüber sprachen. Er räusperte sich. »Ich würde mit Ihnen gern noch länger über alte Zeiten plaudern, aber ich habe ein Reich zu regieren und Revolutionen zu verhindern. Also, wenn weiter nichts anliegt …«
Er wollte sich abwenden, aber Sophie hob die Hand. »Sei nicht albern, Franzl. Natürlich liegt noch etwas an. Setz dich.«
»Wie Sie wünschen.« Sophie bestand darauf, dass er sie siezte, eine weitere Eigenart, für die er keine Erklärung hatte.
»Wir haben ja bereits festgestellt, dass dein Volk dir nicht geneigt ist.«
»Es war ein Attentäter, nicht die Französische Revolution.«
Sie ignorierte seinen Einwand. »Die Menschen spüren, dass du anders bist als sie, auch wenn sie nicht wissen, was du dann sein sollst. Früher einmal hätten sie dieses Gefühl für den Funken des Göttlichen gehalten, der unseren Herrschaftsanspruch legitimiert …«
»Jesus, wie ich das Mittelalter vermisse.« Karl seufzte.
»… doch heutzutage weckt es ihr Misstrauen. Sie wollen, dass ihre Herrschenden so sind wie sie«, fügte Sophie hinzu.
»Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!«, rief die Stimme aus dem Hintergrund. »Na, bravo!«
Noch jemand, der sich ebenfalls zwischen den Vorhängen aufzuhalten schien, stöhnte.
Sophie schloss kurz die Augen, als müsse sie sich sammeln, dann fuhr sie fort: »Diese Illusion müssen wir erschaffen.«
Franz-Josef breitete die Hände aus. »Und wie? Soll ich mit dem Pöbel im Gasthaus Bier trinken und mit dem Schankmädchen ins Heu gehen?«
»Nein«, erwiderte Sophie ruhig. »Du sollst heiraten.«
»Aha.« Franz-Josef dachte nach. »Ich verstehe nicht, wie mich das beim Volk beliebter machen könnte.«
»Du sollst eine Menschenfrau heiraten.«
»Was?« Franz-Josef sprang auf.
»Ein hübsches kleines Ding, nicht zu klug und noch naiver als du. Dein Volk wird denken: ›Wenn sie ihn liebt, dann muss er besser sein, als ich glaube.‹«
»Sind Sie noch ganz …« Er unterbrach sich. »Sind Sie sicher, dass das eine weise Entscheidung wäre? Es gäbe doch sicherlich Situationen, in denen sie … die Frau … meine Frau …«, schon die Worte schmeckten abscheulich auf seiner Zunge, »… trotz größter Sorgfalt meinerseits bemerken würde, dass etwas … anders ist.«
Karl winkte ab. »Leg dich einfach eine Stunde vor den Kamin, bevor du mit ihr ins Bett gehst, dann merkt sie nichts. Habe ich schon hundertmal gemacht.«
Franz-Josef antwortete nicht. Seine Gedanken schwirrten ihm wie aufgescheuchte Hühner durch den Kopf. Ein hübsches kleines Ding, hatte Sophie gesagt. Aber wie lange würde es so hübsch bleiben? Fünf Jahre, zehn? Dann kämen die Falten, die grauen Haare, der körperliche Verfall und schließlich – viel zu spät – der Tod. Jahrzehntelang, bis zu diesem Moment seiner Erlösung, würde er neben einem Ungeheuer aufwachen, jeden Morgen in die alternde Fratze der Sterblichkeit starren.
Entsetzlich, dachte
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