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Sister Sox

Titel: Sister Sox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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letztlich unbeteiligten Zuschauer vorüberziehen. Das bewirke eine innere Reinigung und verschaffe einem Ruhe.
    Diese Kur half. Ich sagte nicht mal hoppla!, als Dorsts Kopf vor meine Füße rollte, und als sie den Rest vierteilten, kostete mich das nicht einmal ein Arschrunzeln. Er hatte sein Karma selbst verschuldet, und man soll solche Leute nicht noch tiefer in die Scheiße reiten, indem man sie mit Hass verfolgt. Schon nach kurzer Zeit war ich wieder geerdet und stellte fest, dass ich einen Riesenhunger hatte. Dieser Gedanke allerdings verlangte nach Taten. Halb drei Uhr! Wenn ich gleich zu Sabatino hinüberstiefelte, bekam ich noch etwas. Als ich vor dem Lokal stand, sah ich zu meiner Überraschung ein handgeschriebenes Schild hängen: Chiuso . Ich guckte nach drinnen und sah, dass Rita noch herumwerkelte. Ich klopfte gegen die Tür. Sabatino öffnete.
    – Chiuso, sagte er.
    – Ho capito. Ma perché?
    Normalerweise goutierte Sabatino meine Italienischversuche mit großer Zustimmung. Heute verzog er keine Miene. Ich musterte ihn. Sein Gesicht war bleich. Er trug eine grüne Weste mit vielen Taschen und Schlaufen, darunter ein dunkelrotes Flanellhemd und eine braune Hose mit breitem Gürtel. So ähnlich sehen italienische Trapper aus, elegant und zugleich zweckmäßig gekleidet.
    – Gehst du auf die Jagd oder was? In die Isarauen?
    Er warf mir einen bösen Blick zu.
    – Verschwinde, Gossec. Hier ist Krieg.
    Dann ging er über den gepflasterten Parkplatz in Richtung auf den Ziegelbau, an dem das Transparent Vierzehntägig Pferdemarkt hing. Mit seinem merkwürdigen Auftritt wollte ich mich nicht zufrieden geben. Ich klopfte noch einmal energisch an die Tür. Der Vorhang wurde ein wenig beiseite geschoben, Rita guckte dahinter hervor. Sie schüttelte den Kopf und deutete auf das Schild. Jetzt wurde es mir zu bunt, ich haute gegen die Tür, dass die Scheibe schepperte. Sie sperrte auf.
    – Was ist denn los bei euch, fragte ich.
    Rita wirkte verängstigt. Mit ruckartigen Kopfbewegungen schaute sie hin und her, als vermute sie hinter jeder Ecke einen Verfolger.
    – Hast du es nicht mitbekommen?
    – Was denn?
    – Mario, sagte sie. Sie haben ihn umgelegt.
    – Klar. War ja nicht zu überhören. Aber was hat das mit euch zu tun?
    – Ihm gehört doch der Laden hier. Ich dachte, du weißt das.
    Ich schüttelte den Kopf. Rita schob mich aus dem Lokal.
    – Geh jetzt. Man ist ja nicht mehr sicher hier.
    Ich hatte mir noch nie Rechenschaft darüber abgelegt, wie sehr ich hier im Schlachthofviertel in ein offenbar fein gesponnenes Netz von Beziehungen eingewoben war. Ich stellte den Fuß in die Tür.
    – Und wohin ist Sabatino?
    Rita deutete mit dem Kinn auf den Ziegelbau. Dann nuschelte sie nur noch. Wohl aus Sicherheitsgründen.
    – Sie sitzen zusammen und besprechen die Lage.
    Endlich hatte Rita es geschafft, meinen Fuß aus dem Türspalt zu drücken. Sie schloss von innen ab und winkte mir. Dann zog sie den Vorhang vor. Ich schaute zu dem Ziegelbau hinüber, dort oben saß eine italienische Runde bei ihrer Trauerarbeit. Seltsam war diese stille, trotzige Entschlossenheit, die Sabatino an den Tag gelegt hatte. Normal ist bei ihm das Herumschreien, das für unsereinen wie Gezänk klingt. Tatsächlich weiß er sich mit dem vermeintlichen Kontrahenten einig, man will sich nur gegenseitig in der Aufführung von Emotionen überbieten. Sabatino und sein Koch Giovanni schreien oft wie Jochgeier. Man denkt an Mord und Totschlag oder wenigstens einen Rauswurf. Dabei geht es dann doch nur darum, wo über der Theke eine Ferrarifahne am effektvollsten angenagelt werden könnte.
    Ein Tedesco wie ich würde sich wahrscheinlich deutlich besser fühlen, wenn er auch ab und zu mehr aus sich herausgehen könnte. Aber man war eben in seinen nordischen Panzer eingeschweißt. Diese und ähnliche Gedanken trieben mich ins Wirtshaus am Schlachthof, wo ich mir Wiener mitKartoffelsalat bestellte, ein Gericht, das zu unserem Menschenschlag passt. Man hat ja auch seinen Stolz und will sich nicht mit bayerischen Bolognese anbiedern.

22
    Als ich zu meinem Laden zurückkam, sah ich ein Mädchen auf der Eingangsschwelle sitzen. Mit dem Rücken lehnte sie am Türstock, die Beine hatte sie gegenüber aufgestützt. Da sie sich die Kopfhörer ihres Players in die Ohren gestöpselt hatte, bemerkte sie mich nicht. Der Refrain des Songs war besonders mitreißend. Beim Versuch mitzusingen, jaulte sie wie ein junger Hund. Sie mochte vielleicht zwölf

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