Sittenlehre
während das krampfartige Zucken derSchultern wieder einsetzt. Schwer zu sagen, ja eigentlich unmöglich, wie alt Herr Biasutto ist. María Teresa stellt sich die Frage trotzdem; ebenso überlegt sie – obwohl sie ahnt, daß sie abschweift, obwohl sie merkt, daß sie auf Abwege gerät –, wie der zweite Nachname von Herrn Biasutto lauten und in welchem Monat er geboren sein mag.
Er nimmt sie nun an den Schultern und bringt sie dazu, sich umzudrehen. Mit festem, ein wenig allzu festem Griff. Sie steht daraufhin mit dem Gesicht zur gefliesten Wand, mit dem Gesicht so gut wie an dieser Wand. Sie kann jede Einzelheit darauf erkennen, jede noch so unbedeutende Verfärbung, jedes Körnchen, das sich von der Oberfläche abhebt. Die Kälte der Kacheln überträgt sich auf ihre Wangen. Herr Biasutto steht jetzt hinter ihr. María Teresa sagt sich erneut – das schafft sie, auch wenn sie selbst nicht weiß, was sie sich damit sagen will –, daß er der Oberaufseher des Colegio ist. Mit unsicheren Händen schiebt Herr Biasutto ihren Rock hoch. Sie spürt die Kälte an den Beinen und gleichzeitig ihre Angst. Der Rock rutscht wieder hinunter, wenn man ihn nicht festhält, Herr Biasutto weiß nicht, wie er es anstellen soll, seine Bewegungen werden immer fahriger. Er schiebt ihren Rock hoch, sieht die Oberschenkel, daran kann kein Zweifel sein, sieht den Ansatz ihrer verborgenen Pobacken, nun müßte er die Hände frei haben, doch kaum löst er sie von dem Rock, rutscht der wieder hinunter. Er atmet hastig ein und aus und ringt verbissen mit seiner Ungeschicklichkeit. Von María Teresa erwartet er sich nichts, nur, daß sie dasteht, ihm zur Verfügung, sie, die Aufseherin, die Untergebene, deren Gesicht auf einer Seite bereits die Wand berührt. Endlich schafft er es irgendwie.Wieder schiebt er den Rock hoch, drückt ihn jetzt aber mit einer Hand gegen María Teresas Rücken. María Teresa spürt die Hand auf dem Rücken, sie ist kalt und feucht, und da erinnert sie sich, daß Herr Biasutto, als sie sich an dem Abend an der Ecke bei der Kirche voneinander verabschiedeten, sich vorbeugte, um ihr einfach nur die Hand zu küssen – als befänden sie sich in einem vornehmen Palais. Kalt war es auch damals schon in Buenos Aires.
Mit einem ziemlich heftigen Ruck zieht er ihr mit der freien Hand den Schlüpfer hinunter. Da er nur auf einer Seite, rechts, zupacken kann, rutscht der Schlüpfer entsprechend schief hinunter. Deshalb muß er die Arme jetzt überkreuzen, den einen unter dem anderen durchschieben, um den Schlüpfer geradezuziehen. Es gelingt ihm mit einiger Mühe. Der Schlüpfer ist jetzt ungefähr in der Mitte von María Teresas Beinen, kurz vor ihren Knien, der Gummizug ist weniger angespannt als zuvor, als der Schlüpfer noch da saß, wo er sitzen soll und wo er hingehört. Beim hastigen Hinabstreifen hat er sich aufgerollt.
María Teresa lenkt den Blick zum Riegel: Die Tür ist verschlossen. Sie überlegt, ob der Riegel der anderen Kabine, der aus der Verankerung sprang, als Herr Biasutto einige Tage davor auf die Tür losging, bereits erneuert worden ist. Sie hätte es überprüfen können, hat das aber nicht getan. Die dazugehörigen Schrauben anzusetzen und festzuziehen dürfte nicht allzu schwierig gewesen sein. Vielleicht ist bei der Gelegenheit auch die fehlende Schraube ersetzt worden. Sollte sich das Holz allerdings unter der rüden Attacke verzogen haben, dürfte es nicht ganz so einfach gewesen sein, die Sache in Ordnung zu bringen. Wer sich in diese Kabine begeben hat, um dortseinen Darm zu entleeren, wird sich der Tatsache gegenübersehen, daß die Türe sich nicht mehr verriegeln läßt. Schafft er es dann nicht, noch schnell eine andere Kabine aufzusuchen, wird er sich behelfen müssen, indem er sich mit einer Hand seitlich abstützt, die andere dagegen muß er nach vorne ausstrecken, damit nicht irgendein zerstreuter Zufallsbesucher ihm mitten im Geschäft in die Parade fährt.
Warum, zu welchem Zweck denkt María Teresa über all das nach, wo doch der Riegel der Kabine, in der sie sich befindet, vollkommen unversehrt und folglich auch die Türe zuverlässig verschlossen ist? Hinter sich hört sie, wie Herr Biasutto schnaubt. Er schiebt ihr eine Hand hinein. Dann unterstützt er diese mit der anderen Hand; daß der Rock hinunterfällt, ist ihm egal, denn ganz hinunterfallen kann er jetzt nicht mehr. Eine Hand hilft der anderen. Die eine öffnet, die andere drängt vorwärts. Mit Grausen denkt María
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