Sixteen Moons - Eine unsterbliche Liebe
hin und wieder, und nicht nur sie. Es gibt auch andere dort.« Amma beugte sich über den Tisch und blickte Lena in die Augen. »Weshalb trägst du das Armband nicht?«
»Das was?«
»Hat Melchizedek es dir nicht gegeben? Ich habe ihm gesagt, dass du es unbedingt tragen musst.«
»Er hat es mir gegeben, aber ich habe es wieder abgenommen.«
»Und warum tust du so was?«
»Wir haben herausgefunden, dass es die Visionen abhält.«
»Es hat tatsächlich etwas abgehalten – bis du es abgelegt hast.«
»Und was wäre das?«
Amma ergriff Lenas Hand; sie drehte sie um, damit sie die Handfläche sehen konnte. »Ich wollte nicht diejenige sein, die es dir erzählt, Kind. Melchizedek, deine Familie, keiner von ihnen wird dir etwas sagen. Aber du musst es wissen. Du musst vorbereitet sein auf das, was auf dich zukommt.«
»Worauf muss ich vorbereitet sein?«
Amma blickte wieder zur Decke und murmelte etwas vor sich hin. »Sie wird kommen, Kind. Sie wird deinetwegen kommen, und sie ist eine Macht, mit der man rechnen muss. Eine Macht, die dunkel ist wie die Nacht.«
»Wer?Wer wird kommen?«
»Ich wünschte, sie hätten es dir selbst gesagt. Ich wollte nicht, dass du es von mir erfährst. Aber die Ahnen meinen, dass es dir irgendwer sagen muss, ehe es zu spät ist.«
»Mir was sagen?Wer wird kommen, Amma?«
Amma nestelte an einem kleinen Beutelchen, das an einem Lederriemen um ihren Hals hing, dann sagte sie mit gesenkter Stimme, als hätte sie Angst, jemand könnte sie hören: »Sarafine. Die Dunkle.«
»Wer ist Sarafine?«
Amma zögerte, sie umklammerte den Beutel noch fester.
»Deine Mutter.«
»Ich versteh das nicht. Meine Eltern sind gestorben, als ich noch ein kleines Kind war, und meine Mutter hieß Sara. Ich habe das auf unserem Stammbaum gesehen.«
»DeinVater ist gestorben, das stimmt, aber deine Mutter ist am Leben, so wahr wie ich hier vor dir stehe. Und du weißt ja, wie das mit den Stammbäumen im Süden so ist. Sie sind nie so zuverlässig, wie sie einen glauben machen wollen.«
Aus Lenas Gesicht wich alle Farbe. Ich versuchte mit aller Kraft, ihre Hand zu fassen, aber ich konnte mich immer noch nicht rühren. Ich konnte nur zusehen, wie sie ganz allein in ein schwarzes Loch stürzte. Genau wie in unserenTräumen. »Und sie ist Dunkel?«
»Sie ist die Dunkelste, die zu unseren Zeiten lebt.«
»Und warum hat mein Onkel mir das nicht gesagt? Oder meine Großmutter? Sie haben behauptet, sie sei tot. Wie konnten sie mich so belügen?«
»Es gibt nicht nur die eineWahrheit. Und dieWahrheiten, die es gibt, müssen sich nicht gleichen. Ich nehme an, sie haben versucht, dich zu beschützen. Sie denken immer noch, dass sie das könnten. Aber die Ahnen sind da anderer Ansicht. Ich wollte nicht diejenige sein, die es dir erzählt, aber Melchizedek ist ein Sturkopf.«
»Weshalb wollen Sie mir helfen? Ich dachte … ich dachte, Sie können mich nicht leiden.«
»Das hat nichts damit zu tun, ob ich dich leiden kann oder nicht. Sie will dich holen und da kannst du keine Ablenkungen gebrauchen.« Amma zog die Augenbrauen hoch. »Und ich will nicht, dass meinem Jungen etwas passiert. Das ist mächtiger als du, mächtiger als ihr beide.«
»Was ist mächtiger als wir beide?«
»Alles. Du und Ethan, ihr seid nicht füreinander bestimmt.«
Lena war verwirrt. Amma sprach wieder in Rätseln. »Was soll das heißen?«
Amma fuhr herum, als hätte ihr jemand von hinten auf die Schulter getippt. »Was hast du gesagt,Tante Delilah?« Zu Lena gewandt, sagte sie: »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Fast unmerklich setzte sich das Pendel der Uhr wieder in Bewegung. Das Leben kehrte in den Raum zurück. MeinVater blinzelte langsam, es dauerte Sekunden, bis sich seine Augenlider schlossen und wieder öffneten.
»Du legst das Armband wieder an. Glaub mir, du wirst jede Hilfe brauchen, die du kriegen kannst.«
Von einem Moment auf den anderen fiel die Zeit wieder in ihren gewohntenTakt …
Ich blinzelte ein paar Mal und sah mich im Zimmer um. MeinVater starrte immer noch auf seinenTeller Kartoffelbrei,Tante Mercy war immer noch damit beschäftigt, Brötchen in ihre Serviette zu wickeln. Ich hob die Hand vors Gesicht und bewegte die Finger. »Was zumTeufel war das?«
»EthanWate!«, keuchteTante Grace entsetzt.
Amma schnitt Brötchen entzwei und steckte Schinkenscheiben zwischen die Hälften. Sie fühlte sich ertappt. Zweifellos hatte sie nicht gewollt, dass ich ihre kleine Unterhaltung unter Frauen mit anhöre.
Weitere Kostenlose Bücher