Sixteen Moons - Eine unsterbliche Liebe
sich zusammen. »Das tut mir leid.«
»Schon gut. Sie starben, als ich zwei Jahre alt war. Ich kann mich nicht einmal mehr an sie erinnern. Ich habe bei verschiedenenVerwandten gelebt, aber meistens bei meiner Großmutter. Sie musste ein paar Monate verreisen. Deswegen wohne ich jetzt bei meinem Onkel.«
»Meine Mutter ist auch gestorben. Autounfall.« Ich weiß nicht, warum ich das sagte. Meist versuchte ich, nicht darüber zu sprechen.
»Tut mir leid.«
Ich sagte nicht schon gut. Ich spürte, sie war jemand, der selbst wusste, dass es nicht gut war.
Wir hielten vor einem verwitterten schmiedeeisernenTor.Vor mir, auf einem ansteigenden Hügel, fast verdeckt von den Nebelschwaden, stand der zerfallende, älteste und verrufenste Landsitz von ganz Gatlin, Ravenwood Manor. Noch nie zuvor war ich dem Haus so nahe gekommen. Ich stellte den Motor ab. Der Wind hatte sich inzwischen gelegt, es fiel nur noch ein leichter Nieselregen. »Sieht aus, als wäre das Gewitter abgezogen.«
»Ich bin sicher, es kommen noch weitere nach.«
»Vielleicht. Aber nicht heute Abend.«
Sie sah mich an, fast ein wenig neugierig. »Ja. Ich denke auch, das war’s für heute Abend.« Die Farbe ihrer Augen hatte sich verändert. Ihr Grün war nun weniger strahlend und sie waren irgendwie kleiner geworden – nicht klein, aber normal groß.
Ich wollte gerade die Autotür aufmachen und sie zum Haus begleiten, aber sie hielt mich zurück.
»Nein, nicht.« Sie war verlegen. »Mein Onkel ist ein bisschen menschenscheu.«Wenn das mal keine Untertreibung war.
Meine Tür war halb geöffnet, ihre Tür war halb geöffnet. Wir beide wurden noch etwas nasser, aber wir saßen einfach da, und keiner sagte einWort. Ich wusste, was ich sagen wollte, ich wusste aber auch, dass ich es nicht sagen konnte. Ich fragte mich, weshalb ich hier, vor Ravenwood Manor, triefend nass herumsaß. Nichts ergab einen Sinn, aber eines war sicher: Sobald ich den Hügel hinuntergefahren und auf die R o ute 9 eingebogen war, würde alles wieder wie früher sein. Alles hätte wieder seine Ordnung. Oder etwa nicht?
Sie sprach als Erste. »Schätze, ich sollte mich bei dir bedanken.«
»Dafür, dass ich dich nicht überfahren habe?«
Sie lächelte. »Ja, dafür. Und fürs Mitnehmen.«
Ihre R eaktion verblüffte mich, sie hatte so gelächelt, als wären wir Freunde, was schlicht unmöglich war. Ich fühlte mich plötzlich beengt und wollte weg. »Keine Ursache. Ich meine, ist schon okay. Mach dir keine Gedanken.« Hastig zog ich die Kapuze meines Sweatshirts hoch, so wie es Emory immer machte, wenn eines von den vielen Mädchen, mit denen er Schluss gemacht hatte, mit ihm in der Aula reden wollte.
Sie sah mich an, schüttelte den Kopf und warf mir den Schlafsack mit ein bisschen zu viel Schwung zu. Ihr Lächeln war wie weggewischt. »Wie auch immer. Also bis dann.« Sie drehte sich um, ging durch dasTor und rannte die steile, matschige Auffahrt hinauf. Ich schlug die Tür zu.
Der Schlafsack lag auf dem Beifahrersitz. Ich nahm ihn und warf ihn nach hinten. Er roch immer noch modrig und nach Lagerfeuer, aber jetzt mischte sich ein schwacher Duft nach Zitronen und R o smarin darunter. Ich schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, war sie schon halb am Haus angelangt.
Ich kurbelte das Fenster runter. »Sie hat ein Glasauge.«
Lena drehte sich zu mir um. »Wie?«
Ich schrie ihr nach und der R egen tropfte durchs Fenster in das Innere desWagens. »Mrs English. Du solltest dich besser auf die andere Seite setzen, sonst musst du immerzu reden.«
Sie lächelte, R egentropfen liefen ihr übers Gesicht. »Vielleicht rede ich ja gern.« Sie drehte sich um und rannte dieVerandastufen hinauf.
Ich wendete das Auto und fuhr zur Straßengabelung zurück, wo ich wieder in die Straße einbiegen konnte, in die ich sonst immer eingebogen war, und dort fahren konnte, wo ich schon mein ganzes Leben lang gefahren war. Bis heute.
Zwischen den Sitzen sah ich etwas glänzen. Es war ein silberner Knopf.
Ich steckte ihn in dieTasche und fragte mich, wovon ich heute Nacht wohl träumen würde.
Zersprungenes Glas
12.9.
Nichts. Es war ein tiefer, traumloser Schlaf, zum ersten Mal seit langer Zeit.
Als ich aufwachte, waren die Fenster geschlossen. In meinem Bett war keine schmutzige Erde, auf meinem iPod waren keine rätselhaften Songs. Ich schaute zweimal hin. Sogar in meiner Dusche roch es einfach nur nach Seife.
Ich lag im Bett, starrte an die blau gestrichene Decke und dachte
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