Sixteen Moons - Eine unsterbliche Liebe
hervor. Als ich das sah, war mir sofort klar, dass sie damit ein Zaubermittel mischen wollte. Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie etwas von dem dunklen Pulver in den Lederbeutel schüttete. »Hast du es gut eingewickelt?«
»Klar doch«, sagte ich und wartete darauf, dass sie mich tadelte, weil ich ihr so flapsig antwortete.
»Bist du sicher?«
»Ja.«
»Dann steck es hier hinein.« Der Lederbeutel lag warm und weich in meiner Hand. »Na mach schon.«
Ich ließ das anstößige Medaillon in den Beutel fallen.
»Binde das darum«, befahl sie und gab mir ein scheinbar ganz gewöhnliches Stück Bindfaden. Aber ich wusste, nichts von dem, was Amma für ihre Zauber benutzte, war je gewöhnlich oder was es zu sein vorgab. »Nun bringst du das Ding dorthin zurück, wo du es gefunden hast, und vergräbst es. Bring es auf der Stelle weg.«
»Amma, was ist denn los?« Sie kam zu mir, fasste mich unterm Kinn und strich mir die Haare aus der Stirn. Zum ersten Mal, seit ich das Medaillon aus meiner Hosentasche geholt hatte, blickte sie mir in die Augen. So blieben wir eineWeile stehen, mir schien es die längste Minute in meinem ganzen Leben zu sein. Ihre Miene hatte sich verändert, Amma wirkte beinahe verunsichert.
»Du bist noch nicht bereit«, flüsterte sie und ließ mich los.
»Bereit wofür?«
»Tu, was ich dir sage. Bring den Beutel dorthin, wo du dieses Ding gefunden hast, und vergrab es. Dann komm sofort wieder nach Hause. Ich möchte nicht, dass du dich in Zukunft noch einmal mit diesem Mädchen abgibst, hast du gehört?«
Sie hatte alles gesagt, was sie sagen wollte, vielleicht sogar noch mehr. Aber ganz sicher konnte ich da nicht sein, denn wenn es etwas gab, was Amma noch besser konnte als Karten lesen oder Kreuzworträtsel lösen, dann war es, ein Geheimnis für sich zu behalten.
»EthanWate, bist du schon aufgestanden?«
Wie spät war es denn? Halb zehn. Samstag. Ich hätte schon längst aufstehen sollen, aber ich war völlig ausgelaugt. Am Abend zuvor hatte ich mich zwei Stunden lang herumgetrieben, damit Amma glaubte, ich wäre nach Greenbrier gegangen und hätte das Medaillon dort vergraben.
Ich stieg aus dem Bett und stolperte durch den Raum, dabei trat ich auf eine Packung mit alten Oreos. In meinem Zimmer herrschte immer das größte Durcheinander, es lagen so viele Sachen rum, dass mein Dad behauptete, das Zimmer sei ein potenzieller Brandherd, und einesTages würde ich noch das ganze Haus abfackeln, und das, obwohl er schon eine ganzeWeile keinen Fuß mehr in das Zimmer gesetzt hatte. Abgesehen von der Landkarte waren Wände und Decke mit Postern von Orten übersät, an die ich einesTages reisen wollte – Athen, Barcelona, Moskau, sogar Alaska war dabei. An den Wänden türmten sich Schuhschachteln, einige Stapel waren über einen Meter hoch. Auch wenn man keine Ordnung in diesen Stapeln erkennen konnte, so wusste ich doch genau, wo sich jede einzelne Schachtel befand – angefangen von der weißen Adidas-Schachtel mit meiner Feuerzeugsammlung, die noch aus meiner pyromanischen Phase in der achten Klasse stammte, bis zu der grünen New-Balance-Schachtel mit den Patronenhülsen und dem zerrissenen Fahnenrest, den ich mit meiner Mutter in Fort Sumter gefunden hatte.
Nicht zu vergessen die eine, die ich suchte, die gelbe Nike-Schachtel mit dem Medaillon, das Amma so aus dem Häuschen gebracht hatte. Ich öffnete die Schachtel und zog den weichen Lederbeutel heraus. Gestern Abend hatte ich es für eine gute Idee gehalten, ihn zu verstecken, aber jetzt stopfte ich ihn wieder in meine Hosentasche, für alle Fälle.
Amma rief: »Komm runter oder du wirst dich verspäten.«
»Bin gleich da.«
Meine Samstage verbrachte ich mit den drei ältesten Frauen in Gatlin: meinen Großtanten Mercy, Prudence und Grace. In der Stadt nannte man sie nur die Schwestern, so als wären sie eine einzige Person in dreifacher Ausfertigung, was sie in gewisserWeise auch waren. Jede von ihnen war ungefähr hundert Jahre alt, und nicht einmal sie selbst wussten noch, wer von ihnen die Älteste war. Alle drei waren mehrmals verheiratet gewesen, aber sie hatten sämtliche Ehemänner überlebt, und dann waren sie zusammen in das Haus vonTante Grace gezogen. Und sie waren noch viel verschrobener als alt.
Ich war ungefähr zwölf, als meine Mutter angefangen hatte, mich samstags zu ihnen zu schicken, damit ich ihnen ein wenig zur Hand ging, und seither war ich jeden Samstag dort. Das Schlimmste war, dass ich sie jedeWoche
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