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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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der Erwartung zugestimmt hatten, sie entweder nach Wiederherstellung der alten Ordnung nie zahlen zu müssen oder aber auf ihre Pächter oder Vasallen abwälzen zu können, war im Vergleich zu den zwar niedrigeren
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der Vergangenheit keine reine Verschlechterung, sondern schützte vor willkürlich festgelegten fiskalischen Zumutungen in |169| der Zukunft. Am meisten aber zählte, dass die Ehre und damit die Autorität der alten Elite keinen Schaden nahm. Mentalitäten wandeln sich zuletzt, lange nach sozialen und ökonomischen Zuständen. Aus dem Feudalherrn und
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konnte im Laufe des 19. und 20. Jh. so mühelos der „Großwähler“ werden, der seinen ehemaligen Vasallen verbindliche Angaben darüber machte, wo sie bei Urnengängen ihr Kreuz zu machen hatten. Mit anderen Worten: Die britischen Reformen machten die alte Elite überlebensfähig und waren in deren Augen daher zeitgemäß.

|171| XVII  Entfremdung und Agonie
    Für das neue, von Adeligen und reichen Städtern gewählte Parlament galt das nicht. Wie im Gegenlicht schienen in seinen Debatten die uralten Gegensätze zwischen Palermo und Messina, Zünften und Aristokraten und den sich kompliziert überkreuzenden Netzwerken der großen Familien weiterhin durch. So hatte der König leichtes Spiel, um nach dem Untergang Napoleons und dem Abzug der britischen Truppen seine alte Machtstellung zurückzugewinnen – eine so zerstrittene Elite brauchte einen Schiedsrichter, der ihre inneren Konflikte kraft seiner Autorität zu schlichten vermochte. Mochte Ferdinand IV., der im Zuge der auf dem Wiener Kongress 1815 beschlossenen Restauration den pompösen Titel eines „Königs beider Sizilien“ annahm, dafür auch keineswegs die Idealbesetzung sein – Alternativen waren nicht in Sicht. Und Palermo war nicht Westminster, sondern eine Provinzstadt. So behielt Sizilien im neuen Einheitskönigreich weder Parlament noch Flagge, noch Eigenständigkeit. Dafür erhielt es Institutionen und Beamte französischer Provenienz, die der wieder eingesetzte Monarch geprüft und auch für die jetzt anbrechende Ära für gut befunden hatte: Provinzen unter der Verwaltung eines von der Krone eingesetzten Intendanten, straffere Instanzenzüge, mehr Zentralismus, zumindest in der Theorie, und das an die Verhältnisse Süditaliens angepasste Gesetzbuch des Code Napoléon, das die Interessen der Besitzelite stärkte. Insofern ist der Begriff „Restauration“ für das Königreich beider Sizilien irreführend: Die Monarchie Ferdinands IV. wurde in der Ära Metternich „absolutistischer“, als sie es jemals gewesen war. In Sizilien konnte sie selbst von den Hinterlassenschaften der „Britenzeit“ profitieren: Die Grundsteuer erwies sich in der jetzt anbrechenden Rezession für den Adel als gravierender und für den Fiskus lukrativer als gedacht. Und auch an der Aufhebung der Feudalrechte hatte Ferdinand Geschmack gefunden; die zuvor vom Adel wahrgenommenen Funktionen der Verwaltung und Rechtsprechung in eigene Regie zu überführen, bot vielfältige Chancen, Ämter mit eigenen Gefolgsleuten |172| zu besetzen und damit die aristokratische Patronagehoheit auf dem Lande aufzubrechen.
    So sahen immer mehr Vertreter der Führungsschicht auf dem Festland wie auf der Insel ein, dass ihre Option für die Wiederherstellung der Bourbonen-Monarchie ohne verbindliche konstitutionelle Garantien ein Fehler gewesen war. 1820 zwangen Aufstände im neapolitanischen Hinterland den König dazu, einer liberalen Verfassung zuzustimmen. Die Unruhen, die daraufhin in Palermo ausbrachen, waren hingegen viel traditioneller, ja in mancher Hinsicht entschieden alteuropäisch eingefärbt. Wieder bildete sich keine Aktionseinheit der unzufriedenen Kräfte heraus, im Gegenteil: Liberale Aristokraten, privilegienbewusste Zünfte, landhungrige Tagelöhner und in den neuen Geheimbünden der
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zusammengeschlossene Intellektuelle waren sich allenfalls im Hass auf die neapolitanische Tyrannis und in ihrer Forderung nach mehr Autonomie für die Insel einig, doch ansonsten über alles, was die künftige politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung betraf, zerstritten – von der ressentimentgeladenen Rivalität der Städte, deren Mob die Felder und Weinberge der Nachbargemeinde niederbrannte, ganz zu schweigen. Und auch bei den neapolitanischen Revolutions-Genossen stießen die Emissäre aus Palermo auf wenig Gegenliebe – als Separatisten wurden sie vom dort tagenden Parlament kurzerhand

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