Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
der Kultivierung bislang ungenutzten Bodens und bei Bonifizierungsmaßnahmen. Doch schlug auch hier, was eigentlich den Besitzlosen zugute kommen sollte, unerwarteterweise zum Vorteil von Pächtern, Juristen und anderen lokalen Honoratioren aus; die ländliche Sekundärelite und nicht, wie erhofft, ein neuer, leistungsfähiger Bauernstand erwarb überwiegend die neu verteilten Besitzungen.
Mit der Französischen Revolution kamen auch in Sizilien alle Reforminitiativen zum Stillstand. Durch die von oben erzwungene Umwälzung gewachsener |166| Lebenswelten hatte man dem Ungeist des Umsturzes sei es leichtsinnig, sei es frevlerisch vorgearbeitet; jetzt hieß es daher, Gegenkurs zu steuern und die legitimen alten Gewalten wieder zu stärken: Mit dieser Mahnung fanden die konservativen Kräfte auch in Neapel bereitwillig Gehör. Wahr daran ist, dass die Politik der gebündelten Nadelstiche – mehr war es im Endeffekt nicht – die Herrschaft des Adels nicht entscheidend geschwächt, wohl aber delegitimiert und zumindest teilweise auch untergraben hatte. Caracciolo hatte schließlich kein Blatt vor den Mund genommen und die Barone als Unterdrücker angeprangert. Damit aber hatte er den alten Gewalten die Existenzberechtigung abgesprochen, ohne neue einzusetzen. Und nicht zuletzt hatte er dadurch in breiten Kreisen diffuse Hoffnungen auf Veränderungen geweckt, die sich, wie immer in Sizilien, schnell zu endzeitlicher Erregung und Aufruhr aufheizen lassen würden. Noch unsicherer und labiler war dieser soziale Übergangszustand in Neapel. Hier hatte sich die Monarchie dem Adel noch stärker entfremdet als in Sizilien. Der König verachtet, der Adel halb entmachtet – so klaffte auf dem Festland ein noch viel größeres Legitimitäts-Vakuum als auf der Insel.
Für liberale Aristokraten und aufgeklärte Bürger drängten die Zeitverhältnisse dazu, diese Lücke durch eine Revolution zu schließen. 1796/97 hatte der französische General Napoleon Bonaparte Nord- und Süditalien erobert und in Form von Vasallenstaaten dem Imperium der Grande Nation einverleibt. Als die französischen Truppen Anfang 1798 weiter nach Süden vorrückten und im Februar die päpstliche Herrschaft stürzten, rüstete Ferdinand IV. zum Gegenangriff, doch vermochte sein demoralisiertes und demotiviertes Heer, in dem nicht wenige Offiziere mit dem Eroberer sympathisierten, gegen die fremde Übermacht nichts auszurichten. Unter französischer Vormundschaft konstituierte sich kurz darauf am Vesuv die Parthenopäische Republik, der König floh ruhmlos auf dem Schiff des englischen Admirals Nelson nach Palermo. England wurde jetzt zur Schutzmacht der brüchigen Bourbonen-Monarchie, und zwar aus reiner Macht-Räson: Zumindest im zentralen Mittelmeer musste dem Vordringen des revolutionären Frankreich Einhalt geboten werden, sonst war die Machtstellung Großbritanniens und seiner Flotte ernsthaft bedroht. So eroberten englische Schiffe das französisch besetzte Malta zurück, das dadurch aus der siebenhundertjährigen Anbindung an Sizilien herausgelöst wurde. Und an der Straße von Messina endete der Siegeszug der Revolutionstruppen. König Ferdinand aber bezahlte seine Rettung mit einer anderthalb Jahrzehnte dauernden britischen Vormundschaft. 1799 eroberte zwar eine vom tatkräftigen Kardinal Ruffo angeführte gegenrevolutionäre Armee aus
banditi
, Bauern und ehemaligen königlichen Soldaten das süditalienische Festland und dessen Hauptstadt |167| in blutigen Kämpfen und noch blutigeren Repressalien gegen alle Revolutionssympathisanten zurück, doch war diese Wiederherstellung der Monarchie ohne Zutun des Monarchen nur von kurzer Dauer. Ferdinand sah sich in dieser skeptischen Haltung bestätigt, als Napoleon schon 1800 die zwischenzeitlich verloren gegangenen Gebiete zurückgewann. Auch die 1802 mit dem Herrscher der Franzosen ausgehandelte Einigung, die ihm die Rückkehr nach Neapel nebst Hof und viel Geld aus Sizilien erlaubte, war nicht von Dauer. 1806 musste der Bourbone erneut auf die Insel fliehen, Napoleons Schwager Joachim Murat wurde neuer König von Neapel.
1798 waren die Sizilianer aller Schichten von der Vorstellung, wieder einen leibhaftigen Monarchen auf ihrer Insel zu haben, durchaus angetan. Ferdinand und seine intrigante österreichische Gattin Maria Carolina hatten vor der Revolution im überdimensionalen Schloss von Caserta einen aufwendigen Hof unterhalten; Luxushandwerker und -händler in Palermo durften sich auf
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