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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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einträgliche Aufträge freuen. Doch diese Begeisterung kühlte schnell ab. Zu einseitig verteilten sich die Gewinne. So erhielt Horatio Nelson das Herzogtum Bronte mit allen dazugehörigen feudalen Herrschaftsrechten verliehen, die vorher dem Spital von Palermo gehört hatten. Unzufriedenheit machte sich jedoch vor allem deshalb breit, weil jetzt das halbe Königreich die ganzen Kosten, nicht nur für den Hof, sondern auch für den antirevolutionären Kampf und die militärische Unterstützung der Briten zu zahlen hatte, die schließlich 17   000 Mann in Sizilien stationiert hielten. Über diese stetig anwachsenden Steuerforderungen kam es zu immer schwereren Konflikten zwischen König und Adel, genauer: der aristokratischen Kammer des Parlaments. Unter dem Druck immer höherer Abgaben gebärdete sich dieses geradezu konstitutionell. Die Weigerung, den königlichen Steuerbescheiden Folge zu leisten, wurde mit den Prinzipien der Gewaltenteilung begründet, die Verhaftung oppositioneller Adeliger als Verstoß gegen natürliche Rechte und als tyrannischer Machtmissbrauch angeprangert. Doch wurden damit nur die alten Ansprüche des Feudaladels dem aufgeklärten Zeitgeist entsprechend modisch eingekleidet; an einer liberalen Verfassung, die breiteren Schichten politische Mitwirkungsrechte einräumte, hatte die sizilianische Elite nicht das geringste Interesse.
    Wohl aber der britische General William Bentinck, der ab 1806 de facto als Statthalter der Insel fungierte und angesichts der höfischen Ränken und adeligen Gegenkabalen zunehmend die Geduld verlor. Allerdings waren geharnischte Maßnahmen nötig, um eine Verfassung, wie sie ihm vorschwebte, durchzusetzen. Bentinck musste mit dem Abzug seiner Schutztruppen drohen und die Königin, deren exorbitante Schulden er begleichen ließ, ins Exil schicken. Dann war der |168| Weg frei, Sizilien 1812 eine Blaupause des englischen „King in Parliament“-Systems mit einigen Zugeständnissen an die traditionelleren Verhältnisse auf der Insel zu verschaffen: ein Parlament aus Ober- und Unterhaus, das für die Gesetzgebung, speziell die Steuerbewilligung, zuständig war, während dem König ein Veto dagegen und die ausführende Macht übertragen wurde. Und auch die dritte Gewalt, die Judikative, wurde mit bezeichnenden Rückständen quasi runderneuert: Für die Prozesse aller Sizilianer, ob adelig oder Plebs, wurden jetzt Geschworenengerichte zuständig, nur Militär und Kirche behielten eigene Tribunale.
    Noch viel revolutionärer nahm sich die feierliche Abschaffung des Feudalismus aus, die mit der Einführung der Verfassung einherging. Doch was die Adeligen als heroischen Verzicht auf anachronistisch gewordene Herrschaftsrechte ausgaben, war in Wirklichkeit zumindest für die reichsten von ihnen ein einträgliches Geschäft. Das
terraggio -System
hatte bei aller Begünstigung aristokratischer Interessen ja auch den „Vasallen“ Rechte und Schutz zugestanden; zudem war die feudale Rechtsprechung im Alltag oft mehr Last als Machtmittel. Ausschlaggebend aber war, dass die komplizierten alten Herrschaftsrechte – abgesehen von wirtschaftlich irrelevanten Sonderformen – jetzt in sehr viel übersichtlicheres und nach den neusten Rechtsstandards abgesichertes „bürgerliches“ Eigentum umgewandelt wurden: Aus Feudalherren wurden so Großgrundbesitzer. Für die ökonomisch bewanderteren Aristokraten zeichnete sich damit eine lockende Vision am Horizont ab: riesige Getreidelatifundien, ohne den lästigen Ballast aus vorsintflutlichen Naturalabgaben und Treueriten, von schlecht bezahlten Tagelöhnern profitabel bearbeitet und in ganz Europa gewinnträchtig frei vermarktet. Ein weiterer Vorteil bestand darin, dass durch die Annullierung der altertümlichen Fideikommiss- und Primogeniturgesetze Besitzungen zur Schuldentilgung verkauft und zudem die nachgeborenen Söhne, die zuvor mit Miniapanagen abgefunden worden waren, wirtschaftlich bessergestellt wurden. Dass adelige Güter jetzt veräußerbar wurden, kam überdies den lange vergeblich gehegten Erwartungen der wohlhabenden Pächter entgegen – durch solche Transaktionen konnten sie sich jetzt selbst wie Barone fühlen und gebärden. Unter dem Strich wurde dadurch die Führungsstellung der – um Aufsteiger aus dem Milieu der
gabelloti
und Juristen erweiterten – Aristokratie nicht geschwächt, sondern an veränderte historische Verhältnisse geradezu perfekt angepasst. Selbst die Grundsteuer von 5 %, der die Adeligen in

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