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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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Insel ungeheure, ja geradezu endzeitliche Erwartungen geweckt worden, die man mit einem schalen Kompromiss nicht befriedigen konnte. Freiheit aber hieß für die meisten Sizilianer auch anno 1848 Unabhängigkeit der eigenen Gemeinde, Begünstigung kommunaler Interessen auf Kosten des Nachbarorts, Schluss mit allen Steuern und sozialer Aufstieg. Auf dem Land kämpften die führenden Familien daher erbittert und nicht selten blutig um die Führungspositionen, während bewaffnete Banden von den Bauern Schutzgelder erpressten.
    Dass auch eine revolutionäre Regierung auf Steuereinnahmen angewiesen war, umso mehr, wenn sie sich den bourbonischen Rückeroberungsversuchen entgegenstemmen wollte, war in der allgemeinen Euphorie völlig verdrängt worden. Ja, viele Adelige hatten ihre Bauern zur Abgabenverweigerung ermuntert und selbst alle Zahlungen an den Staat eingestellt. Dabei war die verhasste Mahlsteuer, die zumindest in der Theorie ein Drittel der öffentlichen Einnahmen ausmachte, weiterhin in Kraft, was die Enttäuschung der Massen über den |176| Verlauf des Aufstands verstärkte. Verraten und verkauft fühlten sie sich nicht weniger durch die neue Nationalgarde, die im Interesse der Besitzenden Ruhe und Ordnung wiederherstellen sollte. Auf diese Weise war die Bewegung am Ende so gespalten wie am Anfang. So fiel Ferdinand II. die Rückeroberung der Insel im Winter 1848/49 nicht schwer. Die meisten derjenigen, die ihn soeben noch zum Tyrannen erklärt hatten, machten ihren Frieden mit den wiederhergestellten alten Verhältnissen und fielen unter eine weitreichende Amnestie. Die führenden Köpfe der liberalen Revolution wie Francesco Crispi aber gingen ins Exil nach Paris.

|177| XVIII  1860
    Während der Unruhen von 1848 war der Ruf nach einem geeinten Italien nur ganz vereinzelt erklungen. Einige literarisch gebildete Aristokraten hatten mit Begeisterung und Zustimmung Romane und Gedichte von Ugo Foscolo und anderen Autoren des romantischen Risorgimento gelesen, die eine Wiedergeburt der Nation aus dem Geist einer großen, auf tragische Weise abgebrochenen Geschichte verkündeten. Für sie stand außer Frage, dass auch Sizilien Teil dieses ganzen Vaterlandes sein musste, doch selbstverständlich unter Wahrung seiner gewachsenen Eigenständigkeit. Für die große Mehrheit der Sizilianer aber war „Italia“ ein exotisch klingendes Wort.
    In Nord- und Mittelitalien hingegen hatten sich seit zwei Generationen immer größere Teile der adeligen und bürgerlichen Eliten dem Auftrag verschrieben, die vielen fragmentierten Fremdherrschaften auf dem heiligen Boden Italiens zu beenden und einen einheitlichen Nationalstaat zu schaffen. Die Revolutionen, die im März 1848 die österreichische Herrschaft in Mailand und Venedig hinweggefegt hatten, standen im Zeichen dieser nationalen Einigung, ebenso wie die römische Republik, die sich im Februar 1849 nach der Vertreibung des Papstes zur Keimzelle des neuen Italien erklärte. Ihr charismatischer Führer Giuseppe Mazzini propagierte die Einigung durch Aufstände des Volkes gegen die ausländischen Unterdrücker. Handwerker und Bauern seien reif für die Nation und würden nach erkämpfter Freiheit zur moralisch intakten Trägerschicht eines republikanischen, demokratischen, brüderlich vereinten, sozial gerechten und zugleich zentral regierten Nationalstaats werden. In diesem sollten die alten Eliten mancherlei Opfer erbringen, zum Beispiel durch Verzicht auf Privilegien und Abtretung von Besitz, doch nicht durch Zwang, sondern aus Einsicht und Patriotismus. Wahrer Sozialismus, so Mazzini, kam ohne Klassenkampf aus und gründete sich stattdessen auf Solidarität und Nächstenliebe. Für den liberalen piemontesischen Staatsmann Graf Camillo Cavour waren Mazzinis Vorstellungen von Freiheit, |178| Einheit und Brüderlichkeit wirklichkeitsfremde und zugleich gefährliche Wunschträume. Zum einen nährten sie die Illusion, dass sich die Einheit durch einen spontan entflammten Volkskrieg erkämpfen ließ. Zum anderen war selbst die Vorstellung eines von den Alpen bis zum Ätna zusammengeschlossenen Italien für Cavour pure Phantasmagorie. In seinen Augen war der Süden rückständig und erziehungsbedürftig. Das galt für das Volk wie die Elite. Erst wirtschaftliche Reformen, die mehr Bildung und politische Reife zur Folge haben würden, dann ein politischer Anschluss, so lautete sein Fahrplan. Dabei setzte der Meisterdiplomat Cavour auf die Führungsrolle Sardinien-Piemonts,

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