Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
unternehmerisch tätig zu werden, verpachteten die Eigentümer, auf deren Boden die Schwefelminen entdeckt wurden, deren Erträge an Subunternehmer, meist gegen ein Drittel des Ertrags – das alte
terragio -System
ließ grüßen. Der Autoritätsverlust der Monarchie ging so weit, dass die wenigen Gesetze, mit denen die wirtschaftlichen Verhältnisse auf der Insel verbessert werden sollten, von Adel und Klerus torpediert wurden; das galt für die Verfügung, mit der kirchlicher Großgrundbesitz aufgeteilt werden sollte, ebenso wie für die angestrebte Stärkung des kommunalen Grundbesitzes und der kollektiven Nutzungsrechte.
Traditionell blieben auch die Ängste. So führten nicht nur die kleinen Leute, sondern auch besser situierte Kreise die Cholera-Epidemie von 1837 darauf zurück, dass die „Neapolitaner“ die Sizilianer durch Gift ausrotten wollten. Die Epidemie löste daher eine Mini-Revolution in Catania aus, wo die Unabhängigkeit Siziliens ausgerufen wurde, bis dieser Freiheitsrausch kurz darauf in allgemeiner Uneinigkeit und Blutvergießen endete. Zu einer größeren, doch kaum moderneren Bewegung wuchs sich die Revolte aus, die im Januar 1848 in Palermo ihren Ausgang nahm. Ja, schon ihr Beginn mutete befremdlich traditionell an: Zu ersten Unruhen kam es nach der flammenden Predigt eines Mönchs, der Missstände und moralischen Tiefstand der Mächtigen anprangerte. Frühneuzeitlich war auch die Angst, die wie ein Schatten über allem lag: Die Ernte des Sommers war karg gewesen, für 1848 standen die Vorzeichen noch schlechter. Und auch Vergiftungsphobien machten wieder die Runde. Und so begann alles mit den Hungerangst-Revolten der kleinen Leute. Teuerung und Not mussten erklärt werden. Warum aber sollte Gott – wie man gleichfalls von den Kanzeln hören konnte – eine Strafe für die Sünden der Menschheit schicken, die ausgerechnet die Armen am härtesten traf – also diejenigen, die dem Herrn laut Zeugnis des Evangeliums am nächsten standen? Für die Armen war die Getreideknappheit wie gehabt von Menschen gemacht: von Aufkäufern, Wucherern, hartherzigen Aristokraten und vor allem von den eigennützigen Ratgebern des Königs. Denn diese hatten die verhasste Mahlsteuer (
macinato
) eingeführt, die sich jetzt, als Brot täglich teurer wurde, zu einem kolossalen Feindbild auswuchs: Nieder mit dem
macinato
, fort mit der schlechten Regierung, so lautete der Schlachtruf der Aufständischen, der sich rasch als ungemein zugkräftig erwies. Den Banden (
squadre
), die plündernd und brandschatzend durch die Städte zogen, hatten die Honoratioren nichts entgegenzusetzen. Wie immer in Zeiten des Aufruhrs wurden jetzt alte Rechnungen beglichen. Ja, der Hass auf |175| die Reichen, speziell auf die Parvenüs der Pächter und Juristen, die sich adeliger als die echten Aristokraten gebärdeten, entlud sich mit archaischer Grausamkeit: Auf dem Land wurden Bürgermeister, Steuereinnehmer, Getreidemesser und Müller gesteinigt und die Gefängnisse geöffnet – mehr als 10 000 Häftlinge, die meisten wegen Gewaltverbrechen eingekerkert, strömten den
squadre
zu. Zugleich drängten schwer bewaffnete
banditi
in die Städte und heizten dort die Gewalt weiter an.
Erst in einem zweiten Akt wurde diese archaische Revolte eine politische Bewegung im Sinne des 19. Jh. Von der elementaren Wucht der Unruhen überrascht, versuchten liberale und gemäßigt konservative Kräfte diese in ihrem Interesse auszunutzen. Das hieß zum einen, den Aufstand wie in Neapel, wo der König soeben zum Erlass einer Verfassung gezwungen worden war, in konstitutionelle Bahnen zu lenken. Doch mit Gewaltenteilung und Honoratioren-Parlament allein konnte man auf der Insel keine Aktionseinheit herstellen, geschweige denn den Zorn der entfesselten Massen kanalisieren. Dazu bedurfte es weitaus zündenderer Parolen: Freiheit für Sizilien, nieder mit Neapel, das klang schon viel erfolgversprechender. Dementsprechend wurde der König in einer pathetischen Zeremonie für abgesetzt und die Insel für unabhängig erklärt. Schon bald sollte sich zeigen, dass diese Loslösung das einzige Band war, das die provisorische Revolutionsregierung und die divergierenden Kräfte auf der Insel einigermaßen zusammenzuhalten vermochte. Um diesem Separatismus entgegenzuwirken, versprach Ferdinand II. Sizilien ein eigenes Parlament und weitreichende Autonomien, doch solche Versprechungen hatten sich im Lauf der Jahrhunderte abgenutzt. Zudem waren auf der ganzen
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