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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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Einzelnen rechtfertigen, der durch Erbgang und nicht durch Leistung zur höchsten Macht berufen worden war? So erwies sich am Ende selbst bei so radikalen Reforminitiativen wie in Sizilien zwischen 1781 und 1786, dass König und Aristokratie, ob er bzw. sie es wollte oder nicht, unauflöslich zusammengeschweißt waren – zusammen herrschen oder zusammen untergehen, das war die einzige Alternative. Das galt umso mehr, als die Macht, die dem Adel genommen werden sollte, der Monarchie zufallen würde. Damit aber geriet sie nicht nur in den Augen konservativer Aristokraten, sondern auch nach Einschätzung radikaler Aufklärer in gefährliche Nähe zur Despotie. Ja, sie musste dadurch, dass sie gewann, was die privilegierten Schichten einbüßten, letztendlich zur reinen Tyrannis degenerieren. Die völlige Einebnung der Privilegienpyramide würde, so die beängstigende Zukunftsvision, die Ohnmacht des Untertanen und die Allmacht des Herrschers hervorbringen – es sei denn, dieser war bereit, davon reichlich an die mündig gewordene Öffentlichkeit abzugeben, in Form eines Parlaments und einer freien Presse zum Beispiel. Doch eine solche Öffnung hin zu einem liberalen Staat war in Sizilien genauso wenig erkennbar wie bei den gleichzeitigen, nicht weniger autoritär umgesetzten Reformen Josephs II. in Österreich. Wobei sich im Gegensatz dazu in Sizilien noch eine andere, nicht minder schwierige Frage stellte: Wer sollte dort eigentlich die in Neapel so wortreich beschworene Zivilgesellschaft tragen? Ein neues, im Geiste der Aufklärung mündig und selbstbewusst gewordenes Bürgertum war, anders als in Frankreich oder Deutschland, auf der Insel nicht in Sicht.
    So blieben die Neuerungen Caracciolos und Caramanicos imponierendes Stückwerk. Am leichtesten taten sich die Reform-Vizekönige bei der Zurückdrängung von Inquisition und Zünften; Letztere verloren ihre Produktionsmonopole und Sondergerichte. Die eigentliche Bastion, die es zu stürmen galt, aber war die Machtstellung des Adels auf dem Lande. Ihn versuchte Caracciolo, wie einst unter dem großen König Roger, der Autorität der Krone zu unterstellen. |165| Zu diesem Zweck hagelte es Verbote:
banditi
zu beherbergen, Banden anzuwerben, selbst Lehen ohne Genehmigung des Königs zu vererben, wurde jetzt mit strengen Strafen bedroht. Das krönende Schlussstück dieser Gesetzgebung aber sollte – in Analogie zu den „starken“ Monarchien in Piemont, in der Toskana und in Österreich – ein Kataster sein. Hinter diesem harmlosen Ausdruck verbarg sich für den Adel ein wahres Teufelswerk: ein Verzeichnis aller Landbesitzungen und Liegenschaften, dessen sich der Fiskus künftig zu Zwecken einer allgemeinen und gleichen Besteuerung würde bedienen können. Überall, wo ein solches Register von oben geplant war, hatte die Aristokratie folglich opponiert, auch mit Aufständen; in Sizilien befleißigte sie sich mit Erfolg der in Jahrhunderten zu Genüge erprobten Verzögerungs- und Verschleppungstaktik.
    Wie überall in Europa, so hatte auch in Sizilien der Radikalreformversuch von oben letztlich finanzielle Motive. Mehr Steuern einnehmen hieß, vorher die Wirtschaft zu beleben – nur wo mehr produziert wurde, konnte auch mehr abgeschöpft werden. Dabei glaubte Caracciolo an das liberale Credo der Physiokraten, die die Landwirtschaft von den Barrieren und Einschnürungen einer kleinräumig protektionistischen Gesetzgebung befreien wollten – ungehinderter Handel mit Getreide im Inland und, außer in extremen Notzeiten, auch für den Export war das Endziel. Hungersnöte, so das physiokratische Credo, waren nicht als Strafe von Gott gesandt und auch nicht von wucherischen Aufkäufern verursacht, sondern durch die Unzulänglichkeiten der menschlichen Vernunft bedingt. Ließ man den Kräften des – an Recht und Gesetz gebundenen und entsprechend beaufsichtigten – Marktes ihren Lauf, so gäbe es Güter für alle: im Überfluss und zu günstigen Preisen. Mit ersten Liberalisierungsmaßnahmen für Mühlen und Bäcker brachte Caracciolo nach Zünften und Aristokraten auch noch das Volk gegen sich auf – die kleinen Leute fürchteten nichts mehr als den freien Handel mit überlebenswichtigen Grundnahrungsmitteln. Kein Wunder, dass er nach fünf Jahren den von Anfang an ungeliebten Posten des Vizekönigs an Caramanico weitergab. Dieser ging geschmeidiger vor und vermochte den einen oder anderen Kompromiss auszuhandeln, etwa zwecks einer gerechteren Steuerverteilung, bei

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