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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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Faschistischen Partei, Benito Mussolini, als Retter vor dem Kommunismus feiern lassen durfte. Doch das hieß natürlich nicht, dass seine Hilfe den Besitzenden nicht willkommen gewesen wäre. Im Gegenteil: Ein großer Teil der alten Elite, ob konservativ oder liberal, ja selbst führende Intellektuelle wie Verga und Pirandello standen den neuen Machthabern anfangs wohlwollend gegenüber. Diese Akzeptanz war zum einen darauf zurückzuführen, dass die totalitären Züge des Regimes in ihren Augen erst nach und nach, vor allem aber mit der Ermordung des Sozialisten Matteotti im Jahre 1924, krasser hervortraten. Zum anderen schien Mussolini eine Alternative zum korrupten und diskreditierten alten System zu bieten; darüber hinaus versprach er die Wiederanknüpfung an eine große Vergangenheit, die das Trauma der Rückständigkeit heilen sollte. Und schließlich glaubte man eine tiefe Kluft zwischen den radikalen Parolen – Auslese der Besten im Krieg, Aufgehen des Einzelnen in der Masse, bedingungsloses Führerprinzip – und der Kompromissbereitschaft gegenüber den alten Eliten feststellen zu können. Alle diese Illusionen über die Lenkbarkeit eines faktischen Terrorregimes hatten zur Folge, dass die Faschistische Partei, die bei den Wahlen im Jahr 1921 in Sizilien noch ohne Mandat blieb, schon drei Jahre später mehr als zwei Drittel der Abgeordneten stellte.
    In welchem Maße die faschistische Herrschaft die Machtverhältnisse auf der Insel verändert hat, war lange Zeit kontrovers. Als besonders zählebig erwies sich der Mythos vom Kampf der faschistischen Funktionäre und Präfekten gegen die Mafia. Doch davon kann bei genauerer Betrachtung keine Rede sein, wohl aber vom Ringen rivalisierender Schichten und ihrer Netzwerke. Speziell für Angehörige der Mittelschichten schien die Faschistische Partei den lang ersehnten |189| sozialen Aufstieg zu gewährleisten – und damit die Chance, selbst Einfluss und Patronage auszuüben. Unter der Parole „Nieder mit der Mafia!“ wurden so zwischen 1922 und 1943 ganz unterschiedliche Konflikte ausgetragen: zuerst von kleinbürgerlichen Funktionären gegen große Teile der alten Elite, danach mit deren Unterstützung gegen missliebige Elemente der verschiedensten Art, die sich den Interessen der wieder fest im Sattel sitzenden Führungsschicht und der faschistischen Machthaber entgegenstellten. Bei diesen Anti-Mafia-Operationen unter der Leitung von Cesare Mori, den die faschistische Propaganda als unerschrockenen Vorkämpfer des Staates gegen die Macht der verbrecherischen Geheimbünde verherrlichte, herrschte de facto Willkür. Das Prinzip der
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, der Verschwiegenheit gegenüber den Agenten des Staates, war weiterhin in Kraft, so dass der Verfolgung überwiegend Gerüchte und Verleumdungen zugrunde lagen. Sie wurde so zum Spiegel von Vorurteilen, ja vorherrschenden Mentalitäten – als Mafiosi verhaftet wurden überdurchschnittlich oft wohlhabende Pächter und neue Reiche, die bei den kleinen Leuten weiterhin verhasster waren als die alten Großgrundbesitzer. Verhaftet bzw. auf abgelegene Inseln verbannt wurden so politische Oppositionelle, gewöhnliche Kriminelle, völlig Unschuldige und echte Protagonisten der organisierten Kriminalität.
    Abgesehen von diesen propagandawirksamen Kampagnen änderte sich unter dem Faschismus an den Besitzverhältnissen und Hierarchien relativ wenig; Statistiken aus dem Jahr 1940 belegen, dass Bodenverteilung, Bewirtschaftungsmethoden, Lebensverhältnisse und Abhängigkeiten der ländlichen Unterschicht weitgehend dieselben geblieben waren. Für die Bauern waren die Pachtverhältnisse weiterhin drückend, die Wohnverhältnisse beengt, Ernährung und Bildung mehr als dürftig – der Staat, den Mussolini zum Akteur des Fortschritts erklärt hatte, war ins Innere der Lehen, wie die Latifundien weiterhin hießen, nicht vorgedrungen. Letztendlich blieb der Faschismus so eine Fremdherrschaft unter so vielen anderen, mit der sich die Besitzenden zu ihrem Vorteil arrangierten, um sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit wieder abzustreifen. Diese kam, als Mussolini 1940 in Hitlers Kriege eintrat. Nach drei Jahren ununterbrochener Niederlagen an allen Fronten hatte sich das faschistische Regime in den Augen der Eliten, die es so lange mitgetragen hatten, gründlich diskreditiert. Mussolini wurde verhaftet, doch kurz danach von der SS befreit und konnte im Norden des Landes mit deutscher Unterstützung nochmals eine zweijährige,

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