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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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äußerst blutige Herrschaft errichten.

|191| XX  Tradition und Wandel
    In Sizilien landeten amerikanische, britische und kanadische Einheiten schon im Juli 1943. Vor allem im Osten der Insel kam es zu schweren Kämpfen mit den deutschen Truppen, die sich fünf Wochen lang hinzogen und ganze Landstriche verwüsteten. Zeugnisse alliierter Offiziere zeichnen das Bild einer extrem rückständigen, ja archaischen Gesellschaft – als ob man in der Zeit rückwärtsgewandert sei. Nicht einmal die in weiten Teilen Süditaliens seit Jahrhunderten grassierende Malaria hatte sich effizient bekämpfen lassen. Wie immer in historischen Krisen lebte auch jetzt die elementarste und lebenskräftigste politische Richtung auf der Insel, der Separatismus, wieder auf. Um diesen sezessionistischen Bewegungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, erhielt die Insel im Mai 1946 ein Autonomiestatut, das auf weitreichende Selbstverwaltung und nicht zuletzt auf eine sehr viel freiere Verfügung über Finanzmittel hinauslief. Kurz darauf, am 2. Juni, votierte die Mehrheit der Italiener für die Abschaffung der Monarchie; bezeichnenderweise hatte der Süden für deren Beibehaltung gestimmt.
    Die Ablösung vom „römischen Zentralismus“, den man so lange für alle Missstände und Misserfolge verantwortlich gemacht hatte, weckte Hoffnungen auf einen Neuanfang, ja auf eine neue Blütezeit. Doch eine Stunde Null war die Nachkriegszeit keineswegs. Auf der Suche nach Politikern mit Autorität und Einfluss ohne allzu enge Bindung an das Mussolini-Regime hatten die Sieger nicht viel Auswahl. Was lag näher als diejenigen in Schlüsselpositionen zu befördern, die darauf verweisen konnten, von Mori, dem Statthalter des Regimes, verfolgt worden zu sein? Unter diesen „Antifaschisten“ waren einige notorische Mafiosi, die ihre neue Machtstellung alsbald nutzten. So gruben sie mit geradezu wundersamer Schnelligkeit den Separatisten das Wasser ab, die bei der Wahl zum ersten Regionalparlament der Insel im April 1947 nicht einmal ein Zehntel der Stimmen gewannen und wenige Jahre danach ganz von der politischen |192| Bildfläche verschwanden. Stattdessen triumphierten Kommunisten und Sozialisten. Die Vision eines „roten Sizilien“ aber verbreitete zu Beginn des Kalten Krieges weit über die Insel und Italien hinaus Angst und Schrecken; bei der Wahl von Verbündeten war man daher nicht zimperlich. Am 1. Mai 1947 richtete der Bandenführer Salvatore Giuliano in der Nähe von Palermo ein Blutbad unter den Teilnehmern einer linken Kundgebung an. Seinem Renommee als sizilianischer Robin Hood tat das keinen Abbruch.
     Bei ihrer Landung in Sizilien im Juli drangen die Alliierten in ein Gebiet vor, in dem sich älteste Vergangenheit und Moderne für sie rätselhaft vermischten.
    Trotz wütenden Widerstands von Großgrundbesitzern, konservativen Politikern und Mafiabanden erlebte Sizilien zwischen 1948 und 1950 erstmals eine Landreform, die diese Bezeichnung verdiente. Das ihr zugrunde liegende Gesetz erklärte jeden zusammenhängenden Grundbesitz von mehr als 200 ha für illegal. In Erwartung eines solchen Schlages hatten die Latifundienbesitzer zwar |193| mannigfaltige Vorsorge getroffen, zum Beispiel durch die Überschreibung der Eigentumsrechte auf zahlreiche Familienmitglieder oder Strohmänner, doch zu einer umfangreichen Umverteilung – Schätzungen beliefen sich auf bis zu 300   000 ha – kam es gleichwohl. Allerdings wurde der Erfolg der Aktion, wie gehabt, durch spezifisch sizilianische Faktoren gemindert. Bei der Ausgabe der Parzellen gab häufig die Protektion durch „einflussreiche Persönlichkeiten“ den Ausschlag, zudem fehlte es an der Kapitalbasis bzw. an Krediten, um die neuen, meist sehr kleinen Produktionseinheiten rentabel arbeiten zu lassen. Ein weiterer Grund für die insgesamt enttäuschenden Ergebnisse der Bodenreform lag darin, dass sich die Wirtschaftsförderung – sei es von Rom, sei es vom Regionalparlament aus – den vorherrschenden ökonomischen Ideologien der Zeit gemäß auf die Industrialisierung der Insel richtete. Diese Form des staatskapitalistischen Dirigismus aber brachte überwiegend isolierte Großprojekte hervor, die ohne Subventionen der öffentlichen Hand nicht lebensfähig waren. Zudem |195| erwiesen sich solche Industrie-Implantationen als ein Mannasegen für die Mafia und die regionale Politikerklasse, die sich nach der Zurückdrängung der Linken zu Beginn der 1950er Jahre zu einer profitablen Symbiose

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