Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute
Gastgeschenk gegeben. / Doch für den Sohn des Priamos, Lykaon, hatte es als Gegenwert gegeben / dem Patroklos, dem Helden, Iasons Sohn Euneos. Und dieses setzte nun Achilleus aus / als Kampfpreis, seinem Freund zu Ehren, / für den, der schnellster werden sollt’ / mit seinen hurt’gen Füßen“ (Homer, Ilias XXIII. 741–749, Übersetzung Joachim Latacz).
Die Verse beschreiben, wie eine besonders prestigeträchtige Preziose als Gastgeschenk in aristokratischen Zirkeln die Runde macht – über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg und immer wieder als materielles Unterpfand freundschaftlicher Solidarität. Auf Spuren großräumiger aristokratischer Vernetzung stießen britische Archäologen in den 1960er Jahren nahe dem kleinen Ort Lefkandi auf der griechischen Insel Euboia. Hier, auf einer Felsterrasse, förderte der Spaten ein hallenartiges Gebäude mit Apsis zu Tage, das stattliche 45m lang war und 10m in der Breite maß. In dem Gebäude, das um 1000 v. Chr. errichtet worden war, fanden sich mehrere Bestattungen mit reichen Beigaben: die eines Mannes, einer Frau und von insgesamt vier Pferden. Das Gebäude wurde kurz nach seiner Errichtung planmäßig zerstört, aber im Umkreis entstand um 950 v. Chr. ein großes Gräberfeld mit zahlreichen Bestattungen. Vielen der Toten waren Gegenstände aus Edelmetall, besonders aus Gold, beigegeben worden: filigrane Ohrgehänge, Armreifen und Halsbänder, hergestellt von den kunstfertigen Händen levantinischer, zyprischer und ägyptischer Goldschmiede.
|24| Die Spur von Lefkandi führt also direkt nach Osten, nach Zypern und in die Levante. Von hier ging, ab dem 11. Jh. v. Chr., die Initiative zur Vernetzung der Mittelmeerwelt aus. Besonders in Phönizien etablierte sich in den Dunklen Jahrhunderten ein auf die Produktion hochwertiger Luxusgüter spezialisiertes, hochgradig arbeitsteiliges Gewerbe, dessen Erzeugnisse bei den Eliten der Mittelmeerwelt und im Vorderen Orient höchstes Renommee genossen. Städte wie Sidon und vor allem Tyros gelangten so zu ungeheurem Wohlstand. Die Phönizier waren aber nicht nur Produzenten, sondern eben auch Spediteure von Luxusartikeln, die lokale Netzwerke verketteten und sich schließlich auch dauerhaft in Übersee niederließen, um ihrem Handel nachzugehen. Als solche verbreiteten sie Innovationen wie das Alphabet, aber auch nautisches und technologisches Know-how, in andere Randgebiete des Mittelmeers, das so allmählich zu einem dichten Interaktionsraum wurde.
Erst das allmähliche Zusammenwachsen hauptsächlich des mediterranen Ostens in den – wenigstens in ihrer Schlussphase ab ca. 1000 v. Chr. gar nicht mehr so – Dunklen Jahrhunderten schuf die Voraussetzungen für jene Prozesse, die ab dem 9. Jh. v. Chr. auch Unteritalien und Sizilien von Grund auf umkrempelten. Das neue Zeitalter eröffnete, nachdem Levantiner sich bereits kurz zuvor in Nordafrika und Spanien niedergelassen hatten, um 770 v. Chr. die Gründung eines – nach heutigen Begriffen – multikulturellen Handelspostens auf der Insel Ischia. Pithekoussai, die „Affeninsel“, wie die Griechen Ischia nannten, lag günstig, um von hier aus den Anschluss an örtliche Austauschnetze zu finden und so die reichen Erzvorkommen des italienischen Festlands zu erschließen. Neben Griechen, wiederum aus Euboia, ließen sich auf der Insel auch Menschen aus Etrurien und der Levante nieder. Damit war der Wettlauf um die günstigsten Siedlungsgebiete im westlichen Mittelmeer eröffnet.
|25| IV Die Zeit der Großen Kolonisation: Das archaische Sizilien
Wenige Jahrzehnte nach der Gründung Pithekoussais kamen die Griechen auch nach Sizilien. Da die Insel direkt auf dem Seeweg an die Westküste Italiens lag, war die Gründung von Niederlassungen hier gewissermaßen der nächste logische Schritt. Und wieder hatten die Bewohner von Euboia, versiert durch den Handel mit dem Orient und maßgeblich an der Errichtung des Handelspostens auf Ischia beteiligt, die Nase vorn. Sie gründeten mit Naxos die erste Siedlung auf sizilischem Boden, bereits um 750 v. Chr. Bald schalteten sich auch andere griechische Poleis in das Rennen um Land und Hafenplätze ein; das vollständige Hineinwachsen Siziliens in die hellenische Welt schien nur mehr eine Frage der Zeit.
Aufbruch in die neue Welt
Sieben Jahre schon war der Regen auf dem kleinen Kykladenarchipel Thera, dem heutigen Santorin, ausgeblieben. Die Dürre hatte alle Bäume auf den vulkanischen Inseln dahingerafft. Da besannen
Weitere Kostenlose Bücher