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Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute

Titel: Sizilien - eine Geschichte von den Anfaengen bis heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Reinhardt , Michael Sommer
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auf den kolonialen Raum – auf Sizilien – hatte, wird noch ausführlich zu sprechen sein. Doch der große Exodus beließ auch im griechischen Mutterland – ähnlich der Massenauswanderung von Europäern nach Amerika im 19. Jh. – kaum etwas beim Alten. Zunächst brachte der demographische Aderlass tatsächlich ein wenig Entlastung und minderte den Druck, der auf den sich formierenden Gemeinwesen lastete. Doch war dies nicht von Dauer: Die Antagonismen brachen sich im 6. Jh. von neuem Bahn und mündeten in bürgerkriegsähnliche Unruhen (
staseis
) und schließlich in vielen Poleis in das quasi-monarchische Regiment einzelner Aristokraten, die Tyrannis.
    Die entscheidende Neuerung, die das koloniale Ausgreifen in Übersee den Griechen bescherte, war allerdings eine andere: Die Gründungswelle neuer Städte in der Fremde ließ in Hellas das Bewusstsein dafür reifen, dass die politische Ordnung eines Gemeinwesens etwas ist, das Menschen in ihre eigenen Hände nehmen können. Wie der urbane Zuschnitt der Siedlung, ihre Architektur, ihre Straßen, Plätze und Mauern, wie die Lösungen technischer Probleme und die Landzuteilung, so ließen sich auch die Gesetze, nach denen ihre Menschen lebten, und die Funktionen, die Menschen in ihr hatten, planen und schriftlich niederlegen, ohne dass eine göttliche Instanz tätig werden musste. |30| Dem „Könnensbewusstsein“ (Christian Meier), das die Griechen vor allen anderen antiken Völkern auszeichnete, gab die große Kolonisation des 8., 7. und 6. Jh. v. Chr. entscheidenden Auftrieb.
    Griechen und Barbaren
    Die Menschen, auf welche die Griechen jenseits ihrer eigenen Welt stießen, waren für sie unterschiedslos
bárbaroi
, Barbaren. Sie sprachen nicht Griechisch, sondern unverständliche Idiome, die sich wie ,brbr‘ anhörten, daher der Name. Der Ausdruck war nicht – oder doch nicht ursprünglich – verächtlich gemeint, er war schlicht ein Sammelbegriff für alle Fremden. Mochten sich die Griechen untereinander auch noch so sehr bekriegen – sie sprachen doch alle dieselbe Sprache und verehrten dieselben Götter.
    Herodot ist der früheste Gewährsmann für das Bemühen der Griechen, ihr Wissen über die Fremden zu ordnen. Gleichsam der erste Ethnograph, unternimmt er den Versuch, die verschiedenen Barbarenvölker nicht nur zu typisieren, sondern ihr Verhalten auch zu interpretieren. Selbstredend unterliefen ihm zahllose Fehler; vor Fehldeutungen war auch ein Herodot nicht gefeit. Doch führte ihm fraglos eine wahrhaft wissenschaftliche Neugier die Feder, war Vorurteilsfreiheit ein zentraler Grundsatz seiner Methode.
    Parallel dazu findet sich bei den Griechen aber auch ein anderer, aggressivethnozentrischer Strang der Barbarenrezeption. Ihr Hellenentum galt den meisten Griechen bereits als hinreichender Beleg ihrer Überlegenheit: Der Barbar war dazu bestimmt, Sklave zu sein, der Hellene war von Natur aus frei; Barbaren waren roh und ungebärdig, das Griechentum der Inbegriff von Kultiviertheit und Zivilisation. Der Gedanke liegt nahe, die koloniale Erfahrung für das ethnozentrische Barbarenbild der Griechen wenigstens mitverantwortlich zu machen. Die koloniale Grenze wurde allenthalben – ob im Schwarzen Meer, in Nordafrika, Unteritalien oder Sizilien – zum Schauplatz des elementaren
clash of civilizations
zwischen der urbanen Lebensweise der Griechen und der so ganz anders gearteten Zivilisation der Einheimischen: Nach Lage der Dinge mussten sich die Griechen den in Stammesgruppen organisierten und in Dörfern siedelnden Bewohnern der mediterranen Peripherie haushoch überlegen fühlen.
    Moderne Beobachter haben sich die griechische Perspektive notgedrungen zu eigen gemacht: Schließlich haben nur die Kolonisatoren Berichte hinterlassen, nicht aber die Kolonisierten. Die Folie, vor der man den Prozess der Kolonisation deutete, war vor allem die europäische Siedlungskolonisation der Moderne, |31| seit der ,Entdeckung‘ Amerikas durch Kolumbus. Wie das präkolumbianische Amerika betrachtete man die mediterrane Peripherie als weitestgehend leeren Raum, als jungfräuliche Erde, auf der die griechischen – und phönizischen – Neuankömmlinge von äußeren Faktoren unbeeinflusst ihr Modell sozialer und politischer Organisation durchsetzen konnten. „In the west the Greeks had nothing to learn, much to teach“, formulierte im einschlägigen Standardwerk der Doyen der griechischen Kolonisationsforschung, der Oxforder Archäologe John Boardman (Greeks

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