Skagboys 01
wurde das Eis immer dünner. Nach und nach ging alles vor die Hunde. Sick Boy wollte mich davon überzeugen, mit ihm nach London zu gehen, um uns eine Weile bei meinen »engoloiden« Freunden einzunisten. Diese Möglichkeit wurde mit jedem Tag attraktiver. Selbst die fortschreitende Abhängigkeit konnte nicht dieses Gefühl der Rastlosigkeit in mir unterdrücken, das mich permanent nach neuen Optionen suchen ließ. Ich las wie ein Besessener und verschlang gierig Unmengen von Büchern und Texten. Allerdings standen keine davon auf den Lektürelisten meines Studiums. In den Vorlesungen suchte ich mir meist ganz hinten einen Platz, döste vor mich hin und bat am Ende eins dieser Streberkids, mir seine Aufzeichnungen zu kopieren. Vor den Seminaren zog ich mir oft Speed rein, um gut drauf zu kommen, und lenkte die Diskussionen mit ausgedehnten, vollkommen verdrogten Schwafelanfällen in Richtung meiner persönlichen Interessen. Es war, als würde ich mit diesen Monologen in meinem Oberstübchen herumkramen, um mich an den juckenden Stellen in meinem Hirn zu kratzen. Wie bei Klein Davie begann sich nun auch bei mir Schleim in der Brusthöhle abzusetzen, der in einem konstanten Strom aus meinen Nasennebenhöhlen tropfte. Ich konnte nicht mehr vernünftig atmen. Sogar meine Stimme veränderte sich: Mit der Zeit fiel es mir irgendwie leichter, durch meine Nase zu sprechen. Das Resultat war eine blechern klingende Jammerstimme. Ich hasste es, konnte aber nichts dagegen tun. Einmal schaute mich einer der Professoren traurig an und meinte: — Bist du sicher, dass du hier sein solltest?
— Nee, antwortete ich ihm. — Aber ich weiß nicht, wo ich sonst hinsoll.
Das war die Wahrheit. Auch wenn ich mittlerweile keine Hausarbeiten mehr einreichte, hatte ich an der Uni zumindest noch eine Art Daseinsberechtigung. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Meine selbst gesteckte 70-Prozent-Marke würde ich in diesem Zustand nie im Leben erreichen. Irgendwann schaute ich noch nicht mal mehr in meinem Studentenpostfach nach. Die meisten Studis schienen der Meinung zu sein, dass ich die Uni schon längst verlassen hatte, und waren regelrecht überrascht, wenn ich hin und wieder doch mal auftauchte. In gewisser Weise hatten sie damit sogar recht. Alles, was sie noch von Mark Renton sahen, waren seine geisterhaften Reste.
Wenn ich mich dann doch mal in eine der Studentenkneipen verirrte, machte ich mich über die Leute dort lustig. Ich spottete über ihre albernen Projekte, ihre Bands, ihre InterRail-Pläne, ihre sportlichen Aktivitäten, denn ich wusste, dass ich nicht mehr länger dabei sein konnte. Ich begann die Musik von Bob Marley zu hassen, dabei hatte ich sie als Punk in London geliebt. Die Art, wie weiße Mittelklasse-Studis sie schamlos für sich vereinnahmten, kotzte mich an. Als ich eines Nachts zum Wohnheim unterwegs war, sah ich ein paar dieser Public-School-Wichser, wie sie ziemlich betrunken und aus voller Kehle einen Marley-Song über das Leben in Trench Town grölten. Ich konnte es nicht fassen: Die Typen sangen über ein Slumviertel im jamaikanischen Kingston, als würden sie selbst dort leben. Ich warf ihnen einen vernichtenden Blick zu, der sie zu schuldbewusstem Schweigen zwang.
Es war erbärmlich. Ich war erbärmlich. Die Leute brachen den Kontakt zu mir ab. Einst ein warmherziger, geistreicher, spaßiger Skeptiker, hatte ich mich mit der Zeit in einen zynischen Langweiler verwandelt: kalt und ätzend. Je mehr Leute ich mit meiner Art vor den Kopf stieß, desto stärker fühlte ich mich. Ihre Ablehnung ließ mich regelrecht aufblühen. Bald gab es nichts Gutes, Normales oder Anständiges mehr in ihrer Welt, das ich nicht mit beißendem Spott bedachte. Ich zog über alles her, war ein Kritiker der schlimmsten Sorte. Einer von denen, deren Bitterkeit durch das Wissen um die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten genährt wird und die, einer Besoffski-Pisslache in der Gosse gleich, permanent widerwärtige Gehässigkeiten ausdünsten.
Bald stank ich auch wie ein Alki. Hatte ich früher fast schon zwanghaft auf Hygiene, Ordnung und Sauberkeit geachtet, fühlte ich jetzt, wie sich in meiner Unterhose und unter mei nen Achselhöhlen ein regelrechter Sumpf bildete. Ich glich einem Komposthaufen auf zwei Beinen.
Einmal traf ich Fiona im Flur. Der Augenkontakt war unvermeidlich. — Du bist also immer noch hier, sagte sie provozierend.
Ich hatte den Eindruck, dass sie immer noch etwas für mich empfand und sich für mich
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