Skagboys 01
herausgefiltert. Danach wurde die Lösung in einen anderen Behälter geleitet, wo die Zugabe von gelöschtem Kalk – Calciumhydroxid – das wasserunlösliche Morphin in wasserlösliches Calciummorphenat verwandelte.
Nach einigen weiteren Arbeitsschritten, in denen das Produkt getrocknet, gebleicht und gemahlen wurde, fiel das schneeweiße Pulver in die Plastikcontainer. Russells Job bestand darin, Reinheit und Qualität der Chargen zu überprüfen. Es war ein Kinderspiel für ihn, sich eine Ladung des Pulvers in ein Plastiktütchen abzufüllen und in seiner Hosentasche verschwinden zu lassen.
Als Russell Birch den angenehmen Druck in der Leistengegend spürte – das Tütchen in seiner Hosentasche –, freute er sich bereits auf den bevorstehenden Toilettengang, bei dem er nicht nur die Ware, sondern auch Verantwortung und Risiko an Taylor übergeben würde. Er trödelte noch eine Weile im Labor herum, nahm Proben und las Messwerte ab. Für ihn war es unbegreiflich, was manche Menschen für dieses Pulver zu tun bereit waren. Als er sich gerade umdrehte, um das Labor zu verlassen, flog die Tür auf. Donald Hutchinson, der Sicherheitschef der Firma, kam herein, gefolgt von zwei Wachmännern. Russell erkannte Unbehagen auf dem länglichen, abgespannten Gesicht seines Gegenübers und einen entschlossenen Blick in den stahlharten Augen.
— Donald … ähm, alles klar? Was führt dich her? Die Worte blieben Russell förmlich im Halse stecken. Er fühlte sich wie ein Schallplattenspieler, dem man mitten im Betrieb den Strom abgestellt hatte.
— Rück das Zeug raus. Donald streckte seine Hand aus.
— Was?! Was zum Henker meinst du, Donald?
— Wir können das gern auf die harte Tour durchziehen, Russell, aber eigentlich würde ich dir das lieber ersparen, meinte Hutchinson und zeigte mit dem Finger über die Schulter von Russell auf eine schwarze, an der Wand montierte Überwachungs kamera. Sie war genau auf die Männer gerichtet. Neben der Linse blinkte ein rotes LED -Lämpchen.
Russell drehte sich um und starrte nach Atem ringend in die Kameralinse. Er fühlte sich entlarvt. Nicht nur als Dieb, sondern, schlimmer noch, als naiver Trottel. Die Kamera war unscheinbar, so wie die anderen Apparate in der Fabrik. Vielleicht hatte er sie deshalb nicht wahrgenommen. Russell fühlte sich hilflos, stand mit offenem Mund da und überlegte, was die Männer vor dem Monitor wohl in seinem Gesicht sahen. Demütigung, Angst, Selbstekel. Vor allem aber, so nahm er zumindest an, würden sie das Gefühl der Niederlage in seinen Zügen erkennen. Er wandte sich wieder zu Hutchinson, zog das große flache Päckchen mit dem weißen Pulver aus seiner Hosentasche und reichte es dem Sicherheitschef. Als er den uniformierten Männern folgte, wusste er, dass er – was immer auch als Nächstes passieren würde – das Verarbeitungslabor zum letzten Mal betreten hatte.
Eskortiert von schweigenden Sicherheitsleuten, begegnete Rus sell auf seinem demütigenden Marsch durch den Abteilungsflur noch einmal Michael Taylor, der gerade einen Wagen mit Essenscontainern von der Ladezone in Richtung Kantine schob. Dieses Mal schaute Taylor ihn sehr wohl an. Sein Gesicht bettelte um Mitleid und Erbarmen, aber Russell ahnte, dass sein Partner statt in sein Gesicht auch in einen leeren Abgrund hätte starren können.
Ein reifer Student
I ch mied die anderen, und die anderen mieden mich. Sogar Bisto. Er und Joanne waren immer noch ein Paar. Mit der Zeit fühlte ich mich wie Quasimodo – eine übel riechende Figur mit hinkendem Gang und groteskem Buckel, ausgestoßen aus den Reihen der Anständigen und Ehrbaren. Aber ich liebte es. Ich stellte meine allsonntäglichen Anrufe bei meinen Eltern ein. Das nicht endende wollende Klagelied meiner Mutter, von sanft seufzend bis wütend weinend, war auf die Dauer unerträglich. Billy war verhaftet worden, weil er einen Typen in einer Kneipe verprügelt hatte. Als mir meine Ma die Geschichte erzählte, tauchte sein Bild vor meinem geistigen Auge auf: mit der Wichse meines Spasti-Bruders im Gesicht. Ein paar Tropfen, der Schock, die Demütigung, dann der anklagende Blick und die Prügel.
— Aber bei dir ist doch alles in Ordnung, Junge, oder?, erkundigte sich meine Mutter mit weinerlicher Stimme. — Sag schon, Mark, ist bei dir alles in Ordnung?
— Klar ist bei mir alles in Ordnung, antwortete ich und versuchte, einen möglichst überzeugenden und konzentrierten Eindruck zu machen.
In Wahrheit allerdings
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