Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
»Glauben Sie, er philosophiert mit dem Geschäftsinhaber?«
Mary sagte nichts dazu. »Fahren Sie fort.«
»Nun ja, über Amy habe ich versucht, so viel wie möglich über das alles herauszufinden, aber der Pa last ist ja ziemlich wasserdicht, was? Kein Klatsch, kein Spaß, keine nächtlichen Techtelmechtel.«
»Warum sind Sie dann drangeblieben?«
Jones zuckte die Schultern. »Ach, man hofft eben wider alle Hoffnung. Und Amy war ja auch ein nettes Ding. Außerdem«, grinste er wieder, »was ist schöner als eine Frau, die einen mehr verehrt als Gott? Bis zu dem Missgeschick jetzt, natürlich.«
Mary lächelte aus anderen Gründen. Selbst Männer wie Jones, die sich etwas auf ihre Weltläufigkeit einbildeten, ließen sich so leicht von der Schwärmereieines Mädchens einwickeln. Bei sich dachte sie, es würde wohl nicht schwer werden, Amy davon zu überzeugen, dass Jones ungeeignet war; die fünf Guineen würden sie leichter überzeugen als Worte. »Warum haben Sie sich nicht einfach eine Stelle im Palast besorgt?«
Er tat entsetzt. »Meine Liebe, die harte Arbeit! Das wäre mein Tod.«
Es war eindeutig, dass es nichts brachte, weiter auf der Sache herumzureiten. »Na gut. Halten Sie noch mit etwas anderem hinterm Busch?«
»Meine liebe Miss Quinn! Nach allem, was Sie zu tun für mich bereit sind?«
Die Antwort war mit ziemlicher Sicherheit Ja. Es handelte sich schließlich um Octavius Jones. Aber sie konnte sich sein Interesse an der Affäre von Amy bestätigen lassen – was er ja sicher wusste. Und das würde reichen, um sein Interesse an dem gestohlenen Nippeskram auszuschließen, an Honoria Dalrymple, dem Tod von Beaulieu-Buckworth oder dem Tunnel. Es war der beste Handel, den sie geschlossen hatte, seit sie an dem Fall arbeitete.
Zweiundzwanzig
Mittwochabend
Buckingham-Palast
S chock war ein wirksames Betäubungsmittel, hielt aber nicht endlos an. Als Mary das Palastgelände betrat, spürte sie, wie sich ihr Magen umdrehte, was nichts mit dem lange zurückliegenden Essen zu tun hatte. Ihre Brust schmerzte, sie bekam kaum Luft und ihr Mund war plötzlich ausgetrocknet, auch wenn ihr Speichelstrom reichlich und sehr salzig war. Das durfte nicht passieren. Sie eilte durch den Dienstboteneingang und hoffte, nicht auf Mrs Shaw zu stoßen. Diesbezüglich hatte sie immerhin Glück.
Auf dem Weg über die Dienstbotentreppe stieß sie fast mit Honoria Dalrymple in Begleitung eines älteren Herrn zusammen. Beide fuhren herum, doch dann entspannte sich Honoria. »Geh ruhig weiter, Quinn«, sagte sie. Mary zögerte nur einen Moment. Ihr Verlangen nach Abgeschiedenheit war im Moment stärker als alles andere. Doch als sie an Honoria vorbeieilte, hörte sie, wie die Hofdame ziemlich laut sagte: »Ich bringe dich noch zur Tür, Papa.« Mary rannte weiter.
Sie stürzte in ihr Zimmer – das sie mit Amy geteilt hatte und das jetzt halb ausgeräumt war – und schaffte es gerade noch zu dem Nachtgeschirr. Würgte mehrmals. Schließlich gab sie die Reste des Essens von sich. Dann nur noch dünne Galle. Dann gar nichts mehr außer Luft und unterdrückten Schluchzern und – ja, sie liefen ihr über die Wangen in den Mund – warmen, salzigen Tränen.
Sie hatte keine Kraft mehr, dagegen anzukämpfen. Sie war völlig ausgepumpt: davon, dass sie ihren Vater erkannt und nicht sofort zusammengebrochen war; dass sie ihn erpresst hatte; dass sie auf persönliche Antworten verzichtet hatte; dass sie ihn hatte zurücklassen müssen, hilflos und leidend. Es war an der Zeit, das leuchtende, idealisierte Vaterbild aufzugeben, das sie die ganzen Jahre gehegt hatte. Den guten Ehemann. Den liebenden Vater. Vor allem auch den mutigen Matrosen, der in einer wichtigen Mission davongesegelt war. Zwei Jahre lang hatte sie ihre Arbeit für die Agentur als eine Art Huldigung an ihren Vater betrachtet; hatte in seine verblichenen Fußstapfen treten wollen. Sie hatte davon geträumt, dass er sie eines Tages finden würde, nach jahrelan ger Suche. Sie hatte sich das als Rückkehr, als Wiedervereinigung ausgemalt.
Stattdessen hatte
sie ihn
gefunden. Ihre Tränen strömten rascher, während sie ihre Verluste betrauerte: erst den des Vaters auf See, als sie ein kleines Mädchen war. Dann den des Bildes ihres Vaters, leuchtend und gütig und unbefleckt. Sie zwang sich,davon Abschied zu nehmen, und rief sich das Bild von Lang Jin Hai vor Augen, wie er jetzt war: eine armselige, dürre Gestalt – zitternd, ungewaschen und
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