Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
beleidigt. »Er hatte ein Messer«, sagte er dann.
Marys Kopfhaut prickelte. »Der Mann hat Sie mit einem Messer angegriffen. Wie sind Sie ihm entkommen?«
Er sank plötzlich in sich zusammen. »Er war schwach. Ich habe ihm das Messer weggenommen.«
Den Rest konnte Mary sich schon denken, dennoch fragte sie: »Und dann …«
»Habe ich ihn erstochen. Auf ihn eingestochen, bis er aufgehört hat, sich zu bewegen. Bis er nicht mehr war.« Er seufzte und legte sich wie zum Schlafen hin. »Laudanum.«
Sie hatte nichts mehr. Was würde er tun, wenn sie es eingestand? Würde er wieder so einen Anfall bekommen und auf sie einschlagen wie auf Beaulieu-Buckworth? In diesem Moment, beim Anblick der stinkenden, ungepflegten Gestalt ihre Vaters, den sie so lange verehrt hatte, war es ihr fast egal.
Stiefelgetrampel rettete sie. Einen Augenblick später erschien das Gesicht des Wärters. »Das war eine gute Viertelstunde, Miss.«
»Das war sehr nett von Ihnen«, sagte Mary. Sie sah hinunter auf das zerzauste Haar. »Mr Lang, ich komme wieder.«
Als Antwort zog sich das Knochengerüst auf demBett die grobe Decke wieder über den Kopf. Sie hatte weder mehr noch weniger erwartet.
»Er braucht einen Arzt«, sagte sie zu dem Wärter, als er die Zelle verschloss. »So schnell wie möglich.«
Der Wärter sah sie unsicher an. »Ich gebe dem Leiter Bescheid.«
»Haben Sie die schlimme Schnittwunde an seiner Hand nicht gesehen?«, fragte Mary. »Sagen Sie dem Gefängnisleiter, er soll es sich ansehen. Die Wunde muss behandelt werden, wenn der Gefangene bis zum Gerichtsverfahren überleben soll.«
»Ich gebe Bescheid«, sagte der Wärter nicht recht überzeugt.
»Wenn es eine Geldfrage ist«, sagte Mary, »dann wird unsere Einrichtung dafür aufkommen.«
»Ich gebe Bescheid«, sagte der Wärter wieder und klang allmählich gereizt.
Es gab nichts weiter zu sagen. Mary hatte ihren Vater endlich gefunden: Laskar. Drogenabhängiger. Mörder. Und während sie dem Wärter die Treppe hinunter folgte und den Turm verließ, kam es ihr so vor, als habe der betäubende Effekt von Opium auch auf sie gewirkt.
Zum Glück, dachte sie.
Einundzwanzig
R aschen Schrittes kehrte Mary zum Palast zurück, taub und blind für die Welt um sie herum. Es war unmöglich, die ganze Tragweite dessen zu erfassen, was sie gerade gesehen und gehört hatte. Irgendwann musste sie sich damit auseinandersetzen. Irgendwann. Aber erst mal genügte es, einige grundlegende Fakten zu kennen: Lang Jin Hai gab zu, Beaulieu-Buckworth getötet zu haben. Lang Jin Hai hatte im Drogenrausch gehandelt, ohne bewussten Vorsatz. Lang Jin Hai hatte das Messer nicht gezogen.
Egal, wer sein Verteidiger sein würde, das Plädoyer war ärmlich. Lang würde auf jeden Fall für den Mord an einem jungen Aristokraten zur Verantwortung gezogen werden. Aber auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren, war unendlich viel besser als gar keine Verteidigung. Mary fragte sich, wie weit Königin Victorias Wahrheitsliebe reichte. Schloss sie ausländische Opiumsüchtige mit ein? Oder endete ihr Gerechtigkeitssinn bei achtbaren englischen Untertanen?
Dann war da noch das Problem Honoria Dalrymple. Ihre Position war zumindest klar. Sie wollte den Ruf eines Verwandten, auch wenn er ein Tunichtgut war, um jeden Preis reinwaschen – selbst um den eines unschuldigen Zimmermädchens. Eine Andeutung, dass Lang Beaulieu-Buckworth nicht kaltblütig umgebracht hatte, würde sie niemals zulassen.
Schließlich gab es noch die Schwierigkeit, was mit Lang passieren würde, wenn er auf wundersame Weise nicht für den Mord an Beaulieu-Buckworth gehängt wurde. Für einen so alten und geschwächten Mann war die Gefangenschaft im Bauch eines Schiffes – eines schwimmenden Gefängnisses, das dauerhaft an der Küste vor Anker lag, vollgestopft mit verzweifelten Gefangenen – fast genauso schlimm wie die Todesstrafe. Mary dachte an die eiternde Wunde an seiner Hand. Vier Tage war Lang bereits im Tower und man hatte sich nicht darum gekümmert. Mit Gerechtigkeit hatte das nichts zu tun.
Sie war so tief in Gedanken versunken, dass ihr der Herr vielleicht schon eine Weile gefolgt war. Sie bemerkte ihn erst, als er sich mit einer sarkastischen Verbeugung vor sie schob. »Meine liebe Miss Quinn.«
»Mr Jones.« Sie war zu erschrocken, um Verachtung zu zeigen.
»Wie reizend, Ihnen am Nachmittag zu begegnen, wo Sie sonst sicher damit beschäftigt sind, jede Laune Ihrer Majestät zu erfüllen.«
Der
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