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Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3

Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3

Titel: Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Lee
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allein von der Gier nach Opium besessen. Eine jämmerliche Gestalt, ohne jede Reue, obwohl er des Mordes angeklagt wurde. Und wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, war die tiefste Wunde, dass er in London gelebt hatte, ohne Kontakt mit ihr aufzunehmen. Er hatte seine Familie verleugnet und sich geweigert, zu seiner Tochter zu stehen.
    Bald hatte sie sich ausgeweint. Erst trocknete sie sich die Tränen, dann wischte sie sich das Gesicht ab und schnäuzte sich, dann bekam sie einen Schluckauf. Mühsam stand sie auf, denn ihre Beine waren halb eingeschlafen, weil sie so lange am Boden gekauert hatte. Sie trank etwas abgestandenes Wasser und legte sich aufs Bett, wollte in Ruhe weiter nachdenken.
    Trotz allem konnte sie ihren Vater nicht wie alle anderen verdammen. Immerhin war sie auch einmal eines Verbrechens angeklagt gewesen. Sie kannte die Verzweiflung, die Menschen zu rechtswidrigen Din gen trieb, den Überlebensinstinkt, der alles andere verdrängte. Aber das spielte nur eine kleinere Rolle. Denn bedeutender als Mitleid, bedeutender als Verständnis war die Tatsache, dass Lang Jin Hai, egal, was er verbrochen hatte oder wer er war, immer noch ihr Vater war. Daran zumindest zweifelte sie nicht.
    Sie brachte den Abend hinter sich   – die Vorbereitungen für das Essen der Herrschaft, das Abendessenim Dienstbotenbereich und kleinere Aufgaben   – und konnte ohne weitere Zwischenfälle zu Bett gehen. Mrs Shaw betrachtete ihr geschwollenes Gesicht und ihrer blutunterlaufenen Augen zwar mit Missfallen, doch die Haushälterin suchte immer nur nach Anzeichen von übertriebener Vergnügungslust und Müßiggang. Marys Symptome waren so eindeutig das Ergebnis von Elend, dass sie unbemerkt blieben. Sie brauchte lange, bis sie einschlief. Es war ungewöhnlich still im Zimmer; Mary hatte sich an Amys Geplapper und ihr Schnarchen gewöhnt. Und sosehr sie sich bemühte, sich auf die bevorstehenden Pflich ten zu konzentrieren   – Honoria Dalrymple, Prinz Bertie, die immer noch rätselhaften Diebstähle   –, ihre Gedanken kehrten doch immer wieder beharrlich zu Lang Jin Hai zurück.
    Früh am Morgen wachte Mary auf, überrascht, dass sie doch noch eingeschlafen war. Es war eine selten klare Nacht   – der Regen hatte am frühen Abend nachgelassen   – und der Mond schien hell durch die kleine Dachluke. Bei diesem fahlen, unirdischen Licht war Mary als Kind in Häuser eingebrochen. Vielleicht war es das, was ihre Gedanken mit einer plötzlichen Klarheit erneut zu Lang Jin Hai zurückkehren ließ. Plötzlich kannte sie ihren Weg. Statt die Zeit mit heimtückischen Hofdamen, verzweifelten Thronanwärtern und kleinen, unlösbaren Diebstählen zu vertrödeln, musste sie sich der wahren Verantwortung ihres Lebens stellen.
    Sie musste ihren Vater retten.

Dreiundzwanzig
    Donnerstag, 16.   Februar
    Cradle Tower, Tower von London
    A m Tor stand derselbe Wachhabende wie gestern, als Mary um neun Uhr morgens auftauchte. Er schien überrascht, sie schon wieder zu sehen, ließ sie aber bereitwillig ein. »Dass der Chinese Sie gestern empfangen hat, war ein seltener Glücksfall«, begrüßte er sie.
    Mary setzte das selbstgefällige Lächeln einer entschlossenen Wohltäterin auf. »In manchen Fällen brauchen diese Leute nur jemanden, der ihnen freundlich zuhört.«
    »Keine Ahnung, warum ihr Frauen euch die Mühe macht. Der baumelt doch innerhalb einer Woche.«
    Vor Schreck zog sich ihr Magen zusammen. »So bald?«
    Er zuckte die Schultern. »Um den Dreh. Für ein Schlitzauge, das einen Aristo umgebracht hat, gibt es keine Fürsprecher in der Jury.«
    Der Wärter hatte natürlich recht. Aus dem Grund war sie gekommen. Egal, wie Königin Victoria zu Gerechtigkeit und Wahrheit stand, eine Geschworenenbank,die aus sturen Engländern bestand, würde immer die Höchststrafe für das Verbrechen eines Ausländers verhängen. »Man hat wohl noch keinen Arzt zu ihm geschickt.«
    Der Wärter schnaubte belustigt. »Aber sicher doch   – und die Königin höchstpersönlich dazu.«
    Sie erklomm die Treppe zum Cradle Tower, ohne sich allzu große Hoffnungen zu machen. Sie hatte heute Morgen eine Unpässlichkeit vorgetäuscht, die einfachste Methode, den Pflichten im Palast zu ent gehen . Das war natürlich unverantwortlich. Aber lange nicht so unverantwortlich wie das, was sie diesem völlig Fremden vorschlagen wollte. Lang machte sich erneut keine Mühe, den Kopf zu heben, als der Wärter Mary ankündigte und die Zelle aufschloss. Er

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