Skandal um Lady Amelie
Caterina: „Ist es denn geschmackvoll?“
„Nun, das kommt auf die jeweiligen Vorlieben an“, entgegnete Amelie vorsichtig. „Wenn sie noch mit Familienzuwachs rechnet und häufig Besucher zu bewirten hat, ist ein so großes Teil gerade richtig.“ Und das Geschenk würde vor allem dazu dienen, ihr persönliches Ressentiment diesen unsensiblen, um nicht zu sagen inhumanen Brüdern gegenüber zu dämpfen, und sie hoffte, dass die beiden nach ihrer fragwürdigen Einführung nicht noch weitere anmaßende Annäherungen folgen lassen würden.
Da nun mit dem Kauf dieses stark überteuerten, vulgären Geschenks eine Rechnung beglichen war, galt es, um einer sehr ernsten Angelegenheit willen eiligst den Weg nach Richmond einzuschlagen. Es war keine Zeit zu verlieren. „Lise, geh, sag dem Lakaien, wir sind so weit“, erklärte Amelie.
Auf der Rückfahrt achteten sie kaum auf die bewundernden Blicke, die die schicke mokkabraune Kalesche begleiteten, denn der Vorfall, dessentwegen sie ihre Einkaufstour so abrupt abgebrochen hatte, lastete schwer auf Amelies Herz und machte ihr wieder einmal bewusst, dass, so angenehm es war, als Frau unabhängig zu sein, sie jedoch trotzdem ohne den tröstlichen Schutz eines Gatten sehr verwundbar war.
Sir Josiah Chester war ihr vor zwei Jahren erschreckend plötzlich genommen worden; und sie besaß nur wenige nahe Verwandte, die ihr während der schwersten Zeit beistehen und sie bei der Abwicklung der Erbschaft unterstützen konnten. Der Einzige, der ihr stets selbstlos zur Seite gestanden hatte, war ihr Schwager Stephen Chester, Witwer wie sie selbst. Von seinen Kindern war Caterina die Älteste, und als Dank für seine gütige Hilfe bot Amelie, als sie nach Richmond umsiedelte, ihm an, das Mädchen zu sich zu nehmen. Ursprünglich hatte sie geplant, allein zu leben, angesichts ihrer Dankesschuld und der Tatsache, dass das Mädchen mutterlos war, entschied sie anders. Zweiundzwanzig ihrer Lebensjahre hatte sie glücklich in Buxton, einer Stadt in Derbyshire, gelebt, doch in den anschließenden zwei Jahren musste sie mit brutaler Deutlichkeit lernen, auf wen sie sich verlassen konnte und wer sich als wahrer Freund erwies.
Caterinas Freude darüber, bei ihr leben zu dürfen, fand Amelie zwar schmeichelhaft, doch entsprach dieses Zusammenleben nicht ihren Wünschen, und dieser Konflikt hatte sich in den ersten zwei Wochen auch nicht zufriedenstellend lösen lassen. Caterina erwartete, sofort neue Freunde zu gewinnen und in der guten Gesellschaft Richmonds empfangen zu werden, und Amelie besaß nicht das Herz, ihr oder ihrem Vater zu erklären, dass sie sich dem Wankelmut der besseren Kreise lieber nicht aussetzen wollte und dass sie Richmond nur gewählt hatte, weil es nahe bei Kew Gardens, bei den Ausstellungsräumen der Royal Academy und einigen anderen interessanten Orten lag. Ihren heutigen Einkaufsbummel in London hatte sie nicht um ihres persönlichen Vergnügens willen unternommen, sondern er entsprang eher ihrem schlechten Gewissen, weil sie bisher nicht einmal Caterina zuliebe sonderliche Mühe hatte walten lassen, um bei den tonangebenden Familien Richmonds empfangen zu werden. Natürlich hatte Caterinas noch recht unzulängliche Garderobe die heutigen Einkäufe weitgehend bestimmt, und so saß nun Lise neben einem Berg braun eingeschlagener Pakete, von denen sie bei jedem Ruckeln der Kutsche begraben zu werden drohte. Glücklicherweise war für das unglückselige Teemonstrum anderweitig gesorgt, sonst hätte man ernstliche Verletzungen befürchten müssen.
Eine Erklärung für ihren eiligen Aufbruch aus London war nicht nötig; der sich zusehends bewölkende Septemberhimmel schien Grund genug. In Wahrheit jedoch strebte Amelie in aller Hast nach Richmond zurück, weil Lord Elyot beabsichtigte, sich mit den vom Gemeinderat beklagten Problemen zu befassen.
Heimatlose werdende Mütter wurden oft, schon in den Wehen liegend, in einen anderen Pfarrbezirk abgeschoben, damit der eigene Pfarrkreis Verantwortung und Kosten los war. Natürlich konnte man nicht zulassen, dass die Unglücklichen unter irgendeinem Busch niederkamen, denn vornehmen Bürgern durfte man einen solchen Anblick nicht zumuten, doch durch die Hetze, der die Frauen ausgesetzt waren, fand das Problem oft eine permanente Lösung, sprich, Mutter oder Kind oder beide starben.
Sir Josiah Chester hatte sein gewaltiges Vermögen nicht der Wohltätigkeit gewidmet, sondern es angelegt, sodass Amelie, die auch von
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