Skandal um Lady Amelie
hatte es durchaus wahrgenommen und sich gewünscht, der Bruder möge sie ebenfalls so behandeln.
Abermals wurden Verneigungen und Knickse getauscht, dann stürzte Caterina sich sofort in die erfreuliche Aufgabe, das Geld anderer Leute auszugeben, während die Herren sich zur Tür begaben. Ihre Stimmen trugen gut in der dezent gedämpften Atmosphäre des Ladens.
„Wieso haben wir es so eilig, Nick?“
„Weil wir noch heute nach Richmond zurück müssen. Muss mich an Vaters Stelle um ein Problem kümmern. Dringend.“
„Um was geht es?“
Nick griff nach einer Schnupftabakdose, die er interessiert betrachtete. „Ach, da hat jemand eine Schraube locker. Holt Langfinger und kleine Bälger aus dem Arbeitshaus.“ Die tiefe Stimme klang gedehnt und hörbar gelangweilt. „Wer glaubt, ein Unterrock mit ’nem Braten in der Röhre wäre es wert, gerettet zu werden, muss ja nicht ganz bei Trost sein, was, kleiner Bruder? Aber der Magistrat möchte, dass das aufhört. Na, wird uns nur einen Tag kosten. Nur sollten wir anfangen, ehe die Vagabunden erneut zur Landplage werden. Kannst mithelfen, wenn du magst.“ Er legte die Dose zurück in die Auslage. „Gehen wir! Es wird schnell genug erledigt sein.“
„Alberne Samariterspielerei! Diese selbst ernannten Wohltäter sollten alle eingelocht werden. Machen nur unnötigen Ärger!“
Als sie durch die Tür nach draußen traten, wurde ihre weitere Unterhaltung vom Lärm der Straße verschluckt, und Amelie blieb nur übrig zu tun, was ihre Nichte zuvor gemacht hatte: Zwischen den ausgestellten Waren hindurch beobachtete sie die Männer. In jäher Furcht begann ihr Herz wild zu hämmern.
Eine Schraube locker … Unterrock mit ’nem Braten in der Röh re … kleine Bälger retten … nicht ganz bei Trost …
Nicht so sehr der vulgäre Jargon versetzte Amelie in Wut, da die Männer natürlich reden konnte, wie sie wollten, wenn sie sich allein glaubten, sondern die Enthüllung, dass es da ein Problem zu lösen gab, das Richmonds Gemeinderat beunruhigte. Und zweifellos sprachen sie, ohne dessen gewahr zu sein, von ihr, Lady Chester, denn sie war der Samariter, und nie würde ihr eigenes tiefes Mitgefühl für das Elend Unglücklicher solchen vornehmen Gecken, wie diese dort es waren, verständlich sein, die nicht einmal den Geburtstag ihrer Schwester kannten oder gar, wie alt sie war. Wut, Widerwille und Enttäuschung wallten in ihr auf, als sie sich die höhnischen Stimmen vergegenwärtigte. Eben begutachteten die Männer draußen vor der Tür ihre hochelegante, mit allen modischen Accessoires versehene Kalesche und die vier ausgezeichnet aufeinander abgestimmten Apfelschimmel, den Kutscher mit seinem vielkragigen Mantel und den Lakaien in der schicken Livree. Auf jeden Fall werden sie so bald keine feineren Rösser als dieses auffallende Gespann finden, dachte Amelie, sich abwendend. Dieses Treffen war unerwartet enttäuschend ausgegangen, denn ursprünglich hatte ihr die Art der beiden gefallen. Nun würde es ihr außerordentlich schwer werden, ihnen den versprochenen Gefallen zu tun. „Caterina, Liebes, hast du etwas Passendes gefunden?“
Caterina, die sprichwörtlich knietief in teuren Silbergeräten stand, betrachtete leuchtenden Blickes ein entzückendes Gebäckkörbchen, das auch Amelie nicht verschmäht hätte.
„Hmm …“, murmelte sie. „Hübsch, aber …“
„Nun, was hältst du dann von einer großen Servierplatte? Sehr nützlich. Die kann man immer brauchen.“
Das Wort „nützlich“ löste Assoziationen aus. Wenn eine Frau etwas hasste, so waren es nützliche Geschenke – außer sie hatte es sich ausdrücklich gewünscht. Wie etwa eine Kutsche samt Gespann. Eifrig schaute Amelie sich um, auf der Suche nach dem größten, hässlichsten, geschmacklosesten „nützlichen“ Gerät in der Auslage. Allerdings stach das Gesuchte dann zuerst Caterina ins Auge: ein Teekocher mit schlangenhalsiger Tülle, deren Kessel auf den Flügeln dreier hochbusiger Sphinxen ruhte. Das monströse Teil aus massivem Silber, noch dazu mit übermäßigen Vergoldungen verziert, balancierte auf einem pyramidenähnlichen Unterbau, der wohl an den Sieg Nelsons in Ägypten erinnern sollte.
„Das sieht schrecklich teuer aus. Meinst du, die Dame trinkt Tee?“, flüsterte Caterina, der nicht bewusst war, dass sie und ihre Tante gegenteilige Ziele verfolgten.
Teuer? Umso besser, dachte Amelie schadenfroh, sagte aber nur: „Ach, jeder trinkt Tee.“
Zweifelnd fragte
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